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Mitte August treten die neuen Spielregeln für den Amazon-Marktplatz in Österreich und Deutschland in Kraft.

Reuters

Wien – Amazon stößt bei seiner nahezu ungebremsten Expansion kaum auf Widerstand. Versuche der deutschen Gewerkschaft, über Streiks höhere Löhne zu erzwingen, perlen am Onlineriesen ab. Bei der geplanten Digitalsteuer profitiert der US-Konzern dank der Uneinigkeit der EU-Länder vom Faktor Zeit und nutzt weiterhin geschickt internationale Steuerschlupflöcher. Bei seinen umstrittenen Geschäftsbedingungen für Handelspartner kommt nun jedoch Bewegung hinein.

Die EU-Wettbewerbshüter nehmen wegen möglicherweise illegaler Geschäftspraktiken den Umgang von Amazon mit Händlern auf seiner Internetplattform ins Visier. Gegen den US-Onlinehändler sei eine offizielle Untersuchung eingeleitet worden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel mit.

Amazons Doppelfunktion

Als Plattform habe Amazon eine doppelte Funktion, betonte die Kommission. Zum einen verkauft das Unternehmen selbst als Einzelhändler Produkte auf seiner Internetseite. Zum anderen stellt es einen Online-Marktplatz zur Verfügung, über den andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können.

Dabei sammle Amazon laufend Daten über diese Händler, ihre Produkte und das Kundenverhalten, erklärten die Wettbewerbshüter weiter. Konkret wollen sie nun der Frage nachgehen, ob und wie die Nutzung dieser Daten den Wettbewerb einschränkt und ob Amazon sie nutzt, um Händler in lukrativen Geschäftsbereichen zu verdrängen. Dazu will die Brüsseler Behörde unter anderem die Standardvereinbarungen zwischen Amazon und den anderen Marktplatzhändlern prüfen.

Beschwerde aus Österreich

Etwas mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass Österreichs Handelsverband bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eine Beschwerde gegen Amazon eingereicht hat. Nahezu zeitgleich leitete das deutsche Bundeskartellamt ein Missbrauchsverfahren ein. Das Ergebnis ihrer gemeinsamen Ermittlungen bringt Nägel mit Köpfen: Amazon überarbeitet und ändert einen Teil seiner Geschäftsbedingungen.

Auf gut hundert Seiten sind diese niedergeschrieben und regeln das Verhältnis Amazons zu seinen Handelspartnern. Und dieses ist von Spannungen geprägt. Betriebe klagen darüber, dass ihnen quasi über Nacht Konten gesperrt, Guthaben einbehalten und Lieferzeiten willkürlich verändert werden. Gut verkäufliche gelistete Produkte würden von Amazon selbst übernommen und preislich unterboten. Von Offenlegen der Einkaufspreise ist die Rede, von intransparenten Rankings und Ungleichbehandlung. Und trotz mangelhafter Kommunikation mit dem großen Partner gebe es starken Druck, weitere Amazon-Services zu nutzen.

Österreichs Wettbewerbsbehörde befragte dazu 400 Händler, mehr als 80 Prozent standen Rede und Antwort. Unverzüglich auf das Verfahren reagiert hat jedoch auch Amazon, sagt BWB-Chef Theodor Thanner im Gespräch mit dem STANDARD. "Der Konzern hat sich kooperativ gezeigt und eingelenkt." Das Ermittlungsverfahren werde daher eingestellt. Seine Behörde werde nun ein Monitoring installieren, um die Änderungen der beanstandeten Geschäftsbedingungen zu überwachen und evaluieren. Am 16. August sollen sie in Kraft treten. Der Handelsverband zeigte sich zufrieden. "Damit sind wir unserem Ziel, einen fairen Marktplatz für alle Händler und Konsumenten sicherzustellen, einen entscheidenden Schritt näher gekommen", so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Änderung bei Vertragskündigung

Was soll sich für Handelspartner und Webshops auf dem Marktplatz des Internetriesen verbessern? Amazon will künftig von einer jederzeitigen Kündigung der Verträge, mit sofortiger Wirkung und ohne Angabe von Gründen, Abstand nehmen. "Hier gab es Beschwerden ohne Ende", erzählt Thanner. Ab Mitte August gilt dafür eine Frist von 30 Tagen. Voraussetzung dafür sind etwa erhebliche Verstöße gegen Vereinbarungen, die nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung behoben wurden.

Statt nur drei Tagen bekommen Handelspartner bei Problemen künftig eine 30-tägige Frist für Widersprüche, ehe sie gesperrt werden. Bisher habe Amazon keine Rücksicht auf etwaige Feiertage genommen, sagt Thanner. Bei Rechtsverfolgung sind neben Luxemburg bald auch andere Städte als Gerichtsstand möglich.

Amazon räumt sich selbst kein unentgeltliches, unbefristetes, weltweites Nutzungsrecht mehr für von den Verkäufern bereitgestellte Materialien ein. Unter anderem will der Konzern Bedingungsänderungen nun auch mindestens 15 Tage zuvor ankündigen.

Ein zentrales Problem bleibt in Österreich die schwierige Kommunikation mit Amazon. Physische Ansprechpersonen, an die sich Händler wenden können, fehlen. Die Kartellbehörde verspricht, hier weiter an Verbesserungen zu arbeiten.

Thanner weist in seinem Bericht auf die Marktmacht des Konzerns hin. Das habe die Befragung der größten österreichischen Marktplatzhändler klar gezeigt. Diese verkaufen vielfach fast ausschließlich über Amazon, sehen kaum relevante Alternativen für den Weg zum Kunden und würden daher den Marktplatz auch bei deutlicher Gebührenerhöhung nicht verlassen.

Große Marktmacht

Vom Vorwurf des Missbrauchs von Marktmacht nimmt Thanner Abstand – zumal die Abgrenzung des Marktes offen bleibe und Amazon kooperiere. Thanner erinnert zudem an äußerst langwierige und kostspielige Kartellverfahren. Konflikte zwischen Google und der EU rund um Handybetriebssysteme etwa tobten sieben Jahre.

Wer in Österreich online verkauft und einkauft, kommt an Amazon jedenfalls nicht vorbei. Nahezu jeder Händler hierzulande ist auf dem Marktplatz des Konzerns, der als Flaschenhals in die Welt des E-Commerce gilt, vertreten. Die Daten der Betriebe fließen ihm ebenso ungehindert zu wie jene der Konsumenten, die ihm bereits mehr als jeden zweiten Euro im Handel online zukommen lassen. 93 Prozent der Österreicher haben bisher zumindest einmal bei Amazon gekauft. Was darin wurzelt, dass mittlerweile längst mehr Konsumenten über seine Plattform nach Produkten suchen als über Google. (Verena Kainrath, 17.7.2019)