Zu Beginn wirkt der Ritter von der traurigen Gestalt recht klassisch, was Bartstil und Manieren anbelangt. Später zeigt sich dieser Bregenzer Don Quichotte im Festspielhaus allerdings im zeitgeistig-aktuellen Spiderman-Kostüm, in dem auch üblen Kerlen zusetzt.

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Wann ist ein Mann ein Mann? Das fragt sich Herbert Grönemeyer seit 35 Jahren und stellt fest, dass das muskelbepackte, herzinfarktgefährdete Geschlecht schon als Kind "auf Mann geeicht" würde. Wann ist ein Mann ein Mann? Diese Frage warf zu Jahresanfang auch ein Spot der Firma Gilette auf. Kämpfen, grillen und der Frau auf den Hintern packen: ist nicht mehr so toll. Der zeitgemäße Mann soll als beherzter Streitschlichter ein neues Eichmaß in Sachen Männlichkeit vorleben.

Was das alles mit der Oper Don Quichotte zu tun hat? Mariame Clément, die Massenets Spätwerk bei den Bregenzer Festspielen inszeniert hat, ist der Meinung, dass Männlichkeit das Thema des Stücks ist. Also zeigt sie vor dem Beginn besagten Spot des Rasierspezialisten und inszeniert als Reaktion darauf einen Eklat. Ein im Publikum platzierter Schauspieler fasst in seiner Wutrede die negativen Netzreaktionen auf den Spot zusammen: "Wer hat die Burgen gebaut? Man kann die Biologie nicht wegdiskutieren!"

Nach einigem Warten geht es endlich los, aber die Dinge bleiben unübersichtlich. Auf der Bühne hat Clément nämlich einige Sitzreihen installiert, die jenen des Festspielhauses gleichen. Die werden von Normalmenschen und Opernfiguren frequentiert und sind auf eine Bühne auf der Bühne hin ausgerichtet. Auf dieser ereignet sich dann endlich die Oper (Bühne und Kostüme: Julia Hansen). Da die Regisseurin dem Roman von Miguel de Cervantes eine episodenhafte Struktur attestiert, hat sie die fünf Opernakte als zeit- und raumautarke Episoden inszeniert, die sich alle mit Bildern von Männlichkeit auseinandersetzen. Den ersten Akt hat sie als klischeemalerische Otto-Schenk-Gedächtnis-Regie inszeniert, im zweiten kämpfen Don Quichotte und ein abgerockter Sancho Pansa in einem Badezimmer gegen die Windmühlen.

Zu den Sternen

Den Banditen stellt sich der Antiheld im Spiderman-Kostüm sowie an einem versifften urbanen Irgendwo entgegen. Die von der Gang rückerstattete Perlenkette gibt Don Quichotte der angebeteten Dulcinée als Nerd in einem sterilen Großraumbüro zurück. Sterben darf der Ritter von der traurigen Gestalt dann auf einer Theaterbühne auf der Theaterbühne; drei rote Vorhänge müssen sich öffnen, bevor man ihn erblickt. Dulcinée schaut sich das erst von den Sitzreihen auf der Bühne an und macht sich dann durch den Publikumsraum von dannen, hin zu den Sternen.

Währenddessen wäre man auch als Zuschauer um ein Haar verstorben, dahingerafft von einer Überdosis an Konzepten, Bildern und (falschen) Deutungen. Wie so oft hat man in Bregenz den Eindruck, dass Intendantin Elisabeth Sobotka mit einem mehrwöchigen Sommerfestival unterfordert ist und speziell für die Hausoper gern Regiekräfte auswählt, die den Deutungseifer für mehrere Opern in eine packen. Die Ideenfülle fordert jedenfalls ihren Tribut: Der Werbeprolog und die Umbaupausen machen den Abend auf Dauer zäh wie einen Kaugummi. Durch die Sitzreihen auf der Bühne entsteht eine unangenehme zusätzliche Distanz zu den Sängern. Eine präzise Koordination zwischen ihnen und dem Dirigenten wird so hörbar erschwert; der berühmte Funke, der von den Akteuren auf das Publikum überspringen soll, hat es ziemlich weit.

Herzensbildung für alle

Gábor Bretz gelingt sein erster Don Quichotte solide, er absolviert die Marathonpartie mit gleichmäßigem Schönklang; wandelbarer David Stouts Sancho Pansa. Anna Goryachova bleibt als Dulcinée im ersten Akt blass, findet dann aber zu vokalem Feuer. Bei den kleinen Partien lässt Patrik Reiter als Rodriguez aufhorchen. Im tiefen Orchestergraben setzt Daniel Cohen auf zarte, durchscheinende Klangstoffe. Wenn er die Wiener Symphoniker zu Leidenschaft anstacheln möchte, hat der einzige Mann im Produktionsteam am Premierenabend ordentlich zu tun.

Aber geht es in Don Quichotte wirklich um Männlichkeit? I wo. Das zentrale Thema ist die Tugendhaftigkeit: die selbstlose Liebe zum Mitmenschen, zur Natur, Demut, Bescheidenheit, Idealismus und Herzensbildung. Und das geht Frauen und Männer gleichermaßen an. (Stefan Ender, 19.7.2019)