Geschlechtergerechte Formulierungen erschweren nicht die Verständlichkeit, sagt ein Experiment.
Foto: Imago/Eckhard Stengel

Sowohl die Argumente als auch die Gegenargumente sind weitgehend bekannt. Die Debatte über gendersensibles Sprechen und Schreiben dauert schon lange – inhaltlich geht es allerdings seit Jahren um dasselbe. Ein Einwand gegen gendersensible Sprache lautet, dass die Texte umständlich und somit schwer verständlich werden. Wenn Binnen-I, Schrägstrich oder gar Gendersternchen in Sätzen ergänzt werden und beispielsweise aus den "Besuchern" der/die "BesucherIn", "Besucher/in" oder "Besucher*in" wird, mache das einen Text kompliziert. Deshalb solle man beim sogenannten "generischen Maskulinum" bleiben, sprich: Auch wer kein Mann ist, darf sich als "Besucher" angesprochen fühlen. In vielen Texten wird diese Vorgehensweise gern mit folgender Klausel angekündigt: "Aus Gründen der Verständlichkeit werden im Text nur männliche Formen verwendet. Frauen sind selbstverständlich immer mitgemeint."

Wo sind die Kontoinhaberinnen?

Eine Untersuchung des Instituts für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig hat nun mit einem Experiment gezeigt, dass diese "Gründe der Verständlichkeit" schlichtweg falsch sind. Für das Experiment wurde ein Stromliefervertrag eines deutschen Stromversorgers verwendet, der nur die männliche Form enthielt. In einer neuen Version dieses Vertrags wurde dieser um die weibliche Formulierung ergänzt, der "Kontoinhaber" wurde beispielsweise um die "Kontoinhaberin" ergänzt.

Dann wurden noch zwei weitere Versionen erstellt: Der Originaltext wurde von Experten für Textverständlichkeit überarbeitet. Von dieser überarbeiteten Version gab es wiederum eine Version im "generischen Maskulinum" und eine mit den sogenannten Beidnennungen, also mit "Kundin" und "Kunde". Sowohl die ursprüngliche Version also auch die überarbeitete Version wurden durch die Ergänzung der weiblichen Form jeweils länger.

Diese vier Textversionen wurden schließlich 355 Studierenden vorgelegt, und es zeigte sich: Bei der Bewertung der Textverständlichkeit gab es keine Unterschiede zwischen den rein männlichen Versionen und jenen mit der männlichen und der weiblichen Formulierung.

Textqualität zählt

Große Unterschiede in der Bewertung zeigten sich allerdings zwischen dem ursprünglichen Stromliefervertrag und dem von Fachleuten für Textverständlichkeit optimierten Text, der als deutlich verständlicher wahrgenommen wurde. Die Textqualität an sich entscheidet somit darüber, ob ein Text schwer oder leicht verständlich ist – nicht die gendersensible Formulierung.

Andere Studien haben auch gezeigt, dass die reine Verwendung der männlichen Form auch die Vorstellung von Männern hervorruft. Wenn allerdings in einem Text sowohl männliche als auch weibliche Formen und neutrale Formen verwendet werden, werden auch die Vorstellungen von Männern und Frauen ausgewogener, schreibt die TU Braunschweig. Auch hätten andere Experimente gezeigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau für eine Position im Management als geeignet bewertet wird, ist deutlich höher, wenn in der Stellenausschreibung sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet wird. (red, 18.7.2019)