Exaltierte Auftritte – hier Julie Shanahan in "Masurca Fogo".

Foto: Impulstanz / Tanztheater Wuppertal

Eine wohlgereifte Dame mit feurigem Lächeln im Gesicht streckt ihre Arme ins Publikum. Sie hat einen Besucher im Visier. "Junger Mann, kommen Sie, dass ich Sie küsse", lockt sie. Er erhebt sich tapfer aus seinem Sessel, erhält einen Schmatz auf den Kopf. Sie dreht sich elegant von ihm weg und verkündet sonor: "Dienst ist Dienst!"

Das ist eine der vielen genialen, gewitzten und doppelbödigen Szenen in Pina Bauschs Tanztheaterklassiker Masurca Fogo, der von Impulstanz noch bis Freitag im Burgtheater gezeigt wird. Entstanden ist dieses Stück im Jahr 1998 als Ergebnis einer Reise des Tanztheater-Wuppertal-Ensembles nach Portugal. Bausch ging es nicht darum, eine durchgehende Handlung auf die Bühne zu setzen, sondern eine Folge von Momentaufnahmen, szenischen Bildern, emotionalen Tanzpassagen und absurden Situationen auszulösen.

Den Hintergrund für dieses Treiben bildet ein weißer, vorn offener Schachtelraum, in dem ein dunkler Kegel wie aus erstarrter Lava ruht. Einmal wird die Rückwand dieses Raums weggezogen, und man sieht, wie sich Frauen in Badekleidung auf dem nackten Stein vor nachtschwarzem Hintergrund wie in einer Mondlandschaft rekeln. Ein Bild, das heute, 21 Jahre nach der Uraufführung von Masurka Fogo und bei wachsender Unruhe aufgrund des Klimawandels noch eindringlicher wirken mag als damals.

Tanzen, scherzen, flirten

Getanzt, gescherzt und geflirtet wird zu fast ausschließlich von Frauen gesungenen, überwiegend jazzigen Songs wie zu Beginn das lasziv-melancholische Hain't it funny? von K. D. Lang. Die Tänzerinnen tragen oft Kleider mit Blumenmotiven, die Männer ab und zu Anzüge. Von Anfang an auch wird das Publikum in eine Art überzeitlicher Zeit gezogen, deren Charaktere durch eine Traumwelt reisen, die sich hartnäckig in unsere Wirklichkeit bohrt.

Männer drehen auf Sesseln sitzende Frauen wie im Karussell, was erhebliche Orgasmen zur Folge hat, eine Dame schüttet einen Kilo Zucker in eine Mokkatasse, ein mit roten Luftballons bekleidetes Model erzählt von einer Lehrerin, die sich vor ihrer Schulklasse schminkt und die Hände küssen lässt. Alle Figuren pendeln zwischen Übermut und Exaltiertheit, als ob es kein Morgen gäbe. Das erinnert an Pina Bauschs Auftritt 1983 als Schauspielerin in Federico Fellinis E la nave va. Sie stellte damals die blinde und grausame Principessa Lherimia dar, die Teil einer dem Untergang geweihten Gesellschaft auf ihrem Schiff der Träume ist.

Mit Fellini teilte die Choreografin eine Leidenschaft für das Absurde oder Aussterbende, für Typen und deren sonderbare Rituale. Masurca Fogo mit seinen herrlich poetischen Videoprojektionen kann in diesem Sinn wie ein von den Zwängen einer durchgehenden Erzählung befreiter Film gelesen werden, beinahe als entgrätete Paraphrase auf Roma oder Amarcord. Und so haben auch die von Bausch so geliebten Zigaretten ihre kurzen Auftritte, inklusive des romantischen alten Jazz-Songs Love is like a cigarette.

Gegen sich verengende Horizonte

In der Gegenwart einer Vereindeutigung der Welt, so heißt ein im Vorjahr erschienenes Buch des Arabisten Thomas Bauer, kommen die Stücke der Pina Bausch gerade rechtzeitig zurück. Der Reichtum ihrer Fantasie – und der ihrer Tänzer, die immer ganz viel zu den Stücken beigetragen haben – sprengt jene Verflachung der Vorstellungsräume auf, in der uns wachsende Intoleranz und sich verengende Horizonte entgegenmarschieren.

Zehn Jahre nach dem Tod der Choreografin bringt das Tanztheater Wuppertal mit seinen Mitgliedern von früher und neuen Gesichtern das Wunder zustande, Werke wie Masurca Fogo so lebendig zu halten, als wäre Pina Bausch noch da. Und wie nichts fegt das Stück das elende Vorurteil beiseite, demzufolge nur junge Leute im Tanz bestehen können. Gerade die gereiften Tänzer und Tänzerinnen legen vor, wie grandios und unverzichtbar ihre Präsenz auf der Bühne ist. (Helmut Ploebst, 17.7.2019)