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Denkt Boris Johnson um?

Foto: Reuters/Nicholls

Raunen, Buhrufe und Applaus gab es am Dienstagvormittag, als Ursula von der Leyen, Kandidatin der 28 EU-Staats- und -Regierungschefs für den Posten der Kommissionspräsidentin, im Plenarsaal des EU-Parlaments auf die Zukunftsaussichten der Briten in der EU zu sprechen kam. Ja, sie könne sich vorstellen, den Brexit – den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union – noch ein weiteres Mal zu verschieben. Allerdings nur "aus guten Gründen".

Die heftige Kritik von Brexit-Hardliner Nigel Farage konterte die wenige Stunden später zur Kommissionspräsidentin Gewählte schlagfertig: "Auf Reden wie Ihre können wir in Zukunft gut verzichten!" Sie betonte auch, das Ergebnis des Referendums von 2016 zu bedauern – aber es sei zu respektieren.

Der ursprünglich für 29. März 2019 terminisierte Brexit soll – so der aktuelle Stand – am 31. Oktober über die Bühne gehen. Doch in Stein gemeißelt ist wohl auch dieser Termin nicht. Nicht, nachdem von der Leyen die Tür wieder einen Spalt weit aufgemacht hat.

Große Töne

Zwar hat Boris Johnson, wahrscheinlich der nächste britische Premier, in den vergangenen Wochen immer wieder groß getönt, Ende Oktober den Ausstieg zu vollziehen, nötigenfalls auch ohne Deal mit Brüssel. Doch gleichzeitig geistert in London noch immer – oder schon wieder – die Hypothese eines zweiten Brexit-Referendums herum.

Und dieses wäre wahrlich ein "guter Grund" im von-der-Leyen’schen Sinn, den Austritt der Briten noch einmal zu verschieben oder sogar auf Eis zu legen. Denn Vorbereitung und Durchführung eines solchen Referendums würden etliche Monate in Anspruch nehmen.

Als innerparteilicher Oppositions-Leader zu Premierministerin Theresa May hat Johnson eine zweite Volksabstimmung bisher immer abgelehnt. Doch das könnte sich ändern, sollte er tatsächlich in die Downing Street einziehen. Als Premierminister müsste er nicht nur auf die Stimmungslage im eigenen Lager, der konservativen Partei, Rücksicht nehmen, sondern auf jene der ganzen Nation. Schließlich gilt es, in Zukunft – irgendwann zwischen 2020 und 2022 – auch Wahlen zu gewinnen. Die harte Linie beim Brexit könnte da hinderlich sein.

Ruf zur Vernunft

Arbeitsministerin Amber Rudd rief Johnson und Jeremy Hunt (er hat zumindest formell noch Chancen auf die May-Nachfolge) zur Vernunft auf. "Sie werden mit der Wirklichkeit kollidieren und Kompromisse eingehen müssen", sagte sie bei einer Diskussionsveranstaltung des Magazins "Politico", denn das Parlament lehnt einen No-Deal-Brexit kategorisch ab. (Gianluca Wallisch, 18.7.2019)