Gib Bussi: Jon Bon Jovi gibt uns alles.

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Bon Jovi geben uns heute im Wiener Ernst-Happel-Stadion vor 55.000 Besuchern alles. Haare grau, aber schön, Zähne eins A, knackiger Popo wie im ersten Frühling. Wenn der Chef Jon Bon Jovi sagt, dass wir alle aufstehen müssen, weil niemand bei einem Konzert von Bon Jovi sitzen darf, klappt das auch. Zumindest kurz. Es kommt sehr stark darauf an, wie hoch der Mitpaschfaktor eines Liedes gestaltet ist. Jon Bon Jovi will als alter Kaiser des globalen Rock-'n'-Roll-Bierzelts nach dem faden Start mit This House Is Not For Sale aus dem Spätwerk allerdings eh schon beim zweiten Song, bei Raise Your Hands – ja, was?! – die Hände sehen. Jon Bon Jovi bekommt die Hände. Und wir da draußen, die wir so lange auf ihn gewartet und an der Kassa auch mächtig viel Gerstl haben rüberwachsen lassen, bekommen das Bon-Jovi-Gesamtpaket im Format Supersize mit jeder Menge Zuckerwasser extra.

Die Daumen verbrennen

Das Gesamtpaket besteht im Wesentlichen aus zwei Liedern. Sie werden an diesem Abend abwechselnd gut zwanzig Mal gespielt werden. Das eine geht im Refrain mit "Woa-ooohh, woah, oh, oh ..." und dessen diversen, für Sportstadien geeigneten Variationen. Das andere ist für unbelehrbare Raucher gemacht. Die verbrennen sich deshalb bei Konzerten mit dem Bic-Feuerzeug den Daumen. Zu einem Liebeslied gehört natürlich immer auch der Schmerz.

Der zweite Song von Bon Jovi handelt nämlich von einem Bett aus Rosen. Alle kennen ihn. Selbst die, die ihn nicht kennen, wissen sofort, was gemeint ist, wenn man die Textzeile mit der Flasche Wodka im Kopf und der unbekannten Blonden im Hotelzimmerbett am Morgen erwähnt. Eine blöde Geschichte. Passiert jedem von uns mal. Schwamm drüber und ran ans Klavier zum Dichten. Eigentlich ist Bed of Roses ja ein ziemlich verlottertes Ausschweifungslied, das einem halt textlich so einfällt für das fünfte Album nach zehn Jahren auf Achse. Aber egal, Lieder lindern Leid. Im Prater wird jetzt auch geschmust. Weißt du noch? Sie spielen unser Lied.

Wodka und Blondinen

Man trifft als Rockstar außer bei Überreichungen des Goldenen Schlüssels der Stadt während einer Tour ja fast keine normalen Menschen. Sightseeing in US-amerikanischen Metropolen im Mittleren Westen, damit man untertags vor dem Konzert ein wenig beschäftigt ist? Ja, genau. Lustig. Und nach Hause zu Frau, Kind oder Mutti sind es immerhin zwei, drei Tankfüllungen. Also Blondinen, Wodka, unser Lied. Eben.

It's My Life, You Give Love A Bad Name, Have A Nice Day, Runaway, Wanted Dead Or Alive: Bon Jovi kleckern nicht, sie klotzen. Das Schlagzeug klingt so, als ob es mit Baseballschlägern bearbeitet wird, es klingt also alles ein bisschen schlagzeuglastig. Dazu setzt es in so gut wie jedem Song ein Gitarrensolo aus den 1980er-Jahren, das derartig wimmert, jault und den Mond aus Pappmaché anheult, dass diese Musik früher sogar in Guantánamo eingesetzt wurde, um fremde Völker damit zu den westlichen Werten zu bekehren.

Die Reifen quietschen

Die forsche Gangart Bon Jovis wurde einst erfunden, um damit Überlandfahrten in der großen Weite Amerikas zu befeuern. Die Fahrzeuge dort fressen zwar Benzin wie die Sau, allerdings fahren sie mit Automatikgetriebe und nicht mit Gangschaltung. Das spiegelt sich in der Musik Bon Jovis wider. Alles klingt immer nur ein bisschen wild, aber nicht wirklich.

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Die Reifen quietschen in Hollywood zwar bekanntlich auch auf Schotterstraßen, aber beschleunigen würde halt ein sportlicher Mehrgangmotor schon rescher als so eine Rentnerschaukel ohne Kupplung. Die Gitarren hacken in der Welt Bon Jovis Malen-nach-Zahlen-Riffs oder schrubben Lagerfeuerakkorde, zu denen man gut schunkeln, aber nur selten headbangen kann. Alles klingt irgendwie nett, aber aufregen muss man sich deswegen nicht. Eine Welt ohne Aufregung allerdings ist nicht unbedingt das, was man sich von Rock 'n' Roll erwartet.

Erbschleicherradio

Im Wesentlichen machen Bon Jovi seit Anfang der 1980er-Jahre Musik, die so klingt wie die amerikanische Version des deutschen Schlagers im Stile von Roland Kaiser und Howard Carpendale. Okay, ein bisschen wilder klingt es schon. Den Song Amen aber kann man jederzeit im Erbschleicherradio spielen oder von Semino Rossi auf gut interpretieren lassen. Stimmt, Jon Bon Jovi knödelt und presst für solche Tränendrücker ein bisschen zu viel. Ansonsten: unspektakuläre Show, die Akustik ging gerade so. Bomben und Granaten dann im August bei Rammstein an selber Stelle.

Diesen Freitag gastieren Bon Jovi in Klagenfurt. Es ist unser Leben, und wir wollen es leben, solange wir am Leben sind. (Christian Schachinger, 18.7.2019)