Der Kurator Gerald Matt wohnt im sechsten Bezirk in Wien. Einen Raum hat er seinem Lieblingskontinent gewidmet. Darin ist er kaum in der Lage, Heimweh und Fernweh zu unterscheiden.

"Ich fühle mich meiner Wohnung sehr verbunden. Leider werden viele Altbauwohnungen zu Tode saniert, modisch weiß ausgemalt von der Wand bis zum Türrahmen, sodass sie am Ende ausschauen wie geschniegelte Ordinationen von Schönheitschirurgen. Historisch wunderbare Räume werden auf diese Weise aus einer Ignoranz gegenüber österreichischer Kultur- und Wohngeschichte für immer zerstört. In diesen Räumen hier – ich wohne im sechsten Bezirk, in der Nähe vom Naschmarkt – hat einst eine alte Dame gewohnt, die die Wohnung in ihrer Ursprünglichkeit in all den Jahren glücklicherweise erhalten hat. Eines der Zimmer habe ich meinem Lieblingskontinent gewidmet. Ich mag Afrika. Ich mag die Farben, die Düfte, die Geschmäcker. Senegal, finde ich, riecht erdig, mit einer Brise Meer. Äthiopien wiederum riecht sehr frisch, zugleich aber irgendwie scharf und würzig. Und die Landschaften sind bei weitem nicht so reglementiert und touristifiziert wie bei uns.

Die uralten Tierfelle aus Afrika geben dem Raum erst seine Atmosphäre, meint Gerald Matt.
Foto: Lisi Specht

Meine Faszination geht Jahrzehnte zurück. Ich kann mich erinnern, dass ich mit acht oder neun Jahren bei meinem Opa ein Buch gefunden habe: Afrika weint. Tagebuch eines Legionärs. Damals wollte ich unbedingt zur Fremdenlegion. Das mit der Fremdenlegion hat sich mit der Zeit gelegt. Der Rest keineswegs! Und so habe ich eines Tages begonnen, auf meinen vielen Reisen auch Afrika zu erkunden. Zu Beginn habe ich von meinen Afrikareisen rituelle Holzmasken mitgebracht. Später kamen alte, gebrauchte Lederkoffer dazu. Dann ein historischer Globus. Dann ein uraltes Zebrafell. Und dann Kakteen.

Langsam wird es eng im Afrikazimmer.
Foto: Lisi Specht

Ich mag den schweren Geruch des alten Leders, der abgenutzten Felle, des Tabaks, der sich an den vielen, vielen Whiskey- und Zigarrenabenden in die Oberflächen hineingearbeitet hat. Ich höre immer wieder: Oh Gott, all diese toten Tiere! Dabei sind diese uralten Felle und Tierpräparate, die ich in Auktionen und Antiquitätenshops erworben habe, für mich nicht abstoßend, sondern geben dem Raum erst seine Atmosphäre, seinen unverwechselbaren Charakter – ob das nun ein Krokodil oder eine Antilope ist.

"Ich trenne mich nur schwer von meinen Eroberungen – stecken doch all die Objekte voller Geschichten, Erinnerungen, Emotionen", sagt Gerald Matt.
Fotos: Lisi Specht

Zu meinen Lieblingsmöbeln zählen die beiden Minilederfauteuils. Das sind Offiziersmöbel, die vor dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Marine auf Schiffen und U-Booten verwendet wurden. Aufgrund der knappen Platzverhältnisse auf See sind die Sessel sehr schmal bemessen. Aus eigenem Gebrauch diagnostiziere ich, dass französische Offiziere trotz oder besser wegen der guten Küche stets sehr schlank waren.

Und ich liebe Bücher, vor allem antiquarische Bücher, und da Erstausgaben! Neben Mysteries finden sich hier vor allem Bücher, die sich mit diesem faszinierenden Kontinent oder allgemein mit den Tropen beschäftigen – von Henry M. Stanleys "In darkest Africa" über Aimé Césaires "Discours sur le colonialisme" bis Claude Levi-Strauss' "Traurige Tropen". Und so ziehe ich mich gerne in mein Afrikazimmer zurück und begebe mich hier auf Welt- und Zeitreise, die mich zeitweilig den Alltagstrott und Alltagsstress vergessen lässt. Ich darf hinzufügen, dass ich bis heute nicht in der Lage bin, Heimweh und Fernweh zu unterscheiden und voneinander zu trennen. Bei mir vermischt sich das. Ich habe immer ein Weh nach dem jeweils anderen.

Als Erstes wurden die rituellen Holzmasken von Afrikareisen mit nach Hause gebracht, später auch gebrauchte Lederkoffer, ein alter Globus, ein uraltes Zebrafell und Kakteen.
Fotos: Lisi Specht

Das Schicksal jedes leidenschaftlichen Sammlers ist, dass Raum, Böden und Wandflächen begrenzte Ressourcen sind. Ich muss mich immer wieder zurückhalten, um meine Wohnung nicht in ein Museum oder gar in ein Lager zu verwandeln. Ich trenne mich nur schwer von meinen Eroberungen – stecken doch all die Objekte voller Geschichten, Erinnerungen, Emotionen. Sollte meine Sammelleidenschaft nicht bald versiegen, wovon nicht auszugehen ist, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mir ein Lager anzumieten, sonst war's das mit dem Wohnen hier." (Wojciech Czaja, 22.7.2019)