Gehirnaktivität ist die Summe elektrischer Impulse im Gehirn. Milliarden Gehirnzellen laden und entladen sich in unterschiedlichen Frequenzen. Thetawellen spielen für das Gedächtnis eine wichtige Rolle.

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Ein Orchester funktioniert nur, wenn alle Mitglieder im gleichen Takt fein aufeinander abgestimmt miteinander spielen. Auch im menschlichen Gehirn ist sehr vieles eine Sache des guten Timings. Es kann allerdings vorkommen, dass einzelne Hirnregionen untereinander aus dem gemeinsamen Takt geraten. Das hat unerwünschte Folgen. Oft ist es auch eine Altersfrage. Bekanntlich lässt mit den Lebensjahren auch das Gedächtnis nach. Betroffen vom Alterungsprozess ist sehr oft das Arbeitsgedächtnis. Dieses System im Gehirn hält, ähnlich wie der Arbeitsspeicher eines Computers, diejenigen Informationen präsent, die im Moment benutzt werden.

Älteren Menschen fällt es schwerer, Informationen kurzzeitig im Gedächtnis zu behalten. Sie haben etwa Schwierigkeiten, sich die Zwischensummen beim Kopfrechnen zu merken oder eine Telefonnummer kurzfristig im Gedächtnis zu behalten, bevor sie sie niederschreiben. Einer Theorie zufolge hängt das Nachlassen des Erinnerungsvermögens im Alter genau damit zusammen, dass Hirnregionen, die an Gedächtnisleistungen beteiligt sind, nicht mehr optimal untereinander koordiniert und synchron aktiv sind. Damit können sie auch nicht mehr so gut kommunizieren.

Zwischen Jung und Alt

Eine Bestätigung für diese Theorie lieferte kürzlich eine im renommierten Fachblatt "Nature Neuroscience" veröffentlichte Studie. Für ihre Untersuchung ließen Robert Reinhart und John Nguyen von der Boston University jüngere Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren und ältere im Alter von 60 bis 76 Jahren eine Reihe von Gedächtnistests absolvieren. Die älteren Probanden und Probandinnen schnitten nicht nur schlechter dabei ab, als sie beurteilen sollten, ob zwei nacheinander gezeigte Bilder gleich oder nur ähnlich waren, anders als bei den jüngeren Freiwilligen waren bei ihnen auch die sogenannten Thetawellen im Stirnlappen und im Schläfenlappen des Gehirns nicht so gut synchronisiert. Thetawellen sind Wellen mit einer niedrigen Frequenz von sieben bis neun Hertz und verbinden Hirnbereiche über weite Entfernungen.

Doch mit dieser Erkenntnis gaben sich die beiden Forscher nicht zufrieden. Sie wollten zudem auch herausfinden, ob sich die Hirnregionen auch wieder besser aufeinander abstimmen lassen. Zu diesem Zweck ermittelten die Wissenschafter zunächst die individuelle Thetafrequenz der Probanden. "Manche Menschen haben eine höhere, andere eine niedrigere Thetafrequenz", erklärt der Physiologe Eugen Gallasch von der Medizinischen Universität Graz. Anschließend stimulierten die Forscher 25 Minuten lang die Gehirne der Studienteilnehmenden mit deren individueller Thetafrequenz. Dafür griffen sie auf Elektroden zurück, die sie über eine Haube auf der Kopfhaut anbrachten. Den Strom von sehr geringer Stärke spürten die Probanden anfänglich als leichtes Kribbeln auf der Kopfhaut.

Was dann geschah: Schon nach einigen Minuten Stimulation verstärkten und synchronisierten sich diese Wellen. "Dadurch verbesserte sich die Informationskopplung zwischen dem Stirnlappen und dem Schläfenlappen, und das brachte die Gedächtnisleistung zurück", erläutert Eugen Gallasch die Vorgänge im Gehirn. Die betagteren Männer und Frauen schnitten bei den Gedächtnistests dann auch tatsächlich ähnlich gut ab wie die wesentlich jüngeren Probanden. Diese Verbesserung zeigte sich auch noch 50 Minuten nach dem Ende dieser Strombehandlung.

Frequenzen im Kopf

"Die Studie ist sehr gut geplant und durchgeführt", sagt Gallasch, der als Leiter des Otto-Loewi-Forschungszentrums in Graz Erfahrung mit solchen Untersuchungen hat. Die Forscher, so Gallasch, hätten zahlreiche Kontrollexperimente durchgeführt. So haben sie etwa festgestellt, dass die Stimulation nur dann etwas bringt, wenn man die Probanden mit ihrer individuellen Frequenz stimuliert.

Doch hat diese Studie denn auch tatsächlich schon Relevanz für den klinischen Alltag? "Wenn das Verfahren erst einmal richtig funktioniert, könnte man älteren Menschen die Stimulation wiederholt anbieten", sagt Eugen Gallasch. Beispielsweise drei Wochen lang jeden Tag eine Stimulation von 25 Minuten. Man könnte die Stimulation erst in der Klinik mit einem Neurologen testen und dann bei dem Betreffenden zu Hause einsetzen. "Das hat allerdings nur Sinn, wenn bei dem betreffenden Menschen die verminderte Gedächtnisleistung tatsächlich auf nicht ausreichend synchronisierte Hirnwellen zurückzuführen ist."

Innovative Perspektive

Eine solche Stimulation könnte eine Alternative darstellen zu Psychopharmaka. Denn sie haben bekanntlich oft unerwünschte Nebenwirkungen. "Bei der Hirnstimulation wird es hingegen kaum Nebenwirkungen geben", sagt Gallasch, "denn sie greift eben sehr gezielt in diese Hirnrhythmen ein." Ob aber eine solche Behandlung eine längerfristige Wirkung haben könnte, muss sich erst zeigen.

So optimistisch Eugen Gallasch bei gesunden älteren Menschen mit nachlassendem Gedächtnis ist, so skeptisch ist er andererseits beim möglichen Einsatz der Stimulationsmethode bei Alzheimer. Immerhin handelt es sich dabei um eine neurodegenerative Krankheit, bei der sich unter anderem Eiweißablagerungen im Gehirn der Patienten befinden – die berühmt-berüchtigten senilen Plaques. "Hier kann ich mir weniger vorstellen, dass sich eine Veränderung der Hirnwellen auch auf der Ebene dieser Plaques positiv niederschlägt." (Christian Wolf, 20.7.2019)