Eine bunte Show, bei der sich die Dinge verdüstern: Der lustige Clownskopf verliert Zähne und Augen, wird langsam zum Totenkopf, die Tragödie nimmt auch optisch ihren Lauf.

APA/Dietmar Stiplovsek

Der Zirkus ist in der Stadt! Gaukler und Artisten, Kraftkerle, Tänzerinnen und tierähnliche Wesen wirbeln über die Seebühne, die sich als bespielbare Clownskulptur aus dem malerischen Bodensee erhebt: mittig ein riesiger kahler Kopf mit Knubbelnase und sanften Glubschaugen, rechts und links zwei hölzerne Marionettenhände samt Ballon als optischem Bonustrack. Das alles natürlich megamobil und in XXL, wir sind ja in Bregenz, wo pro Vorstellung knapp 7000 Zuschauern Entertainment geboten werden muss.

Welches Stück wird noch mal gespielt? Der "Bajazzo"? Nein, "Rigoletto". Verdis Oper über den Außenseiter, den Underdog, der sich kraft seiner außergewöhnlichen Stellung als Hofnarr des weibernarrischen Herzogs von Mantua über den hochwohlgeborenen Adel erheben und diesen mit bösen Worten sekkieren darf. Blöd nur, dass Rigoletto in Philipp Stölzls Inszenierung in der quietschbunten Zirkustruppe nur einer unter vielen und sein Alleinstellungsmerkmal perdu ist. Es wäre ähnlich sinnvoll, die Bevölkerung von Brabant in einer "Lohengrin"-Inszenierung allesamt als Gralsritter in Szene zu setzen.

Aber klar: Die Zirkuswelt verspricht ein Spektakel, und spektakulär ist die farbenprächtige Umsetzung (Kostüme: Kathi Maurer) auf jeden Fall, oft auch poetisch und anschaulich: An Gildas Bregenzer Bleibe erkennt der Zuschauer sofort, dass "Rigoletto" das Leben seiner Tochter fest in der Hand hat. Rigolettos rapunzelartige Erhöhung Gildas wird in ihren Ballonfahrten bildlich begreifbar.

Gleich zu Beginn bekommen die Zuseher vor Augen geführt, wie der Herzog seinen Appetit auf Frauen stillt – und zwar direkt im Mund der Rigoletto-Skulptur. Im zweiten Akt veranschaulicht Stölzl (mit Heike Vollmer auch für das Bühnenbild verantwortlich) die Angriffe des Hofstaats auf Rigoletto, indem er dem Clownskopf die Nase abschlagen und beide Augäpfel herausreißen lässt.

Ballett der Frauen

Und als der Herzog, Pardon: der Zirkusdirektor sein Schmählied über die Flatterhaftigkeit der Frauen anstimmt, inszeniert die Regie ein Ballett von vier Frauen, die an den Fingern der rechten Marionettenhand an Schnüren herunterhängen und Brüste vom Hals bis zum Bauchnabel haben: Lustobjekte als Freak-Show.

Lustvoll zitiert der Filmemacher Stölzl auch Kinoklassiker: Gilda erscheint mit ihren roten Schuhen wie eine Hommage an Dorothy im "Zauberer von Oz", Borsas (dazu erfundene) Willkommensrufe zu Beginn (mit Roberto-Benigni-artiger Komik: Paul Schweinester) erinnern an Cabaret, die brutalen Handlanger des Herzogs an Planet der Affen. Neben Commedia-dell’Arte-Charme und Cirque-du-Soleil-Artistik forciert Philipp "The Greatest Showman" Stölzl aber Klamauk und Kletterkunst oft über Gebühr: Hier wäre Abrüstung angesagt, das lenkt oft sehr von der Sangeskunst ab.

Und das ist schade. Denn was bei der Premiere bei den drei zen tralen Partien geboten wurde (es gibt wechselnde Besetzungen), war herausragend. Mehr als jede optische Zirkusnummer fesselte Mélissa Petit, deren schwebender, runder, glänzender Sopran Gildas mädchenhafte Unschuld in idealer Weise transportierte. Stephen Costello bewältigte die strapaziöse Partie des Duca di Mantua bravourös, ging nur selten ein wenig zu sehr in die Vollen und bot auch zarte Töne. Kaum Wünsche offen ließ Vladimir Stoyanov als Rigoletto, der mit seinem geschmeidigen Bariton routiniert die ganze Bandbreite der Partie von inniger Liebe bis zu Hass und Verzweiflung zum Ausdruck brachte.

Souverän auch die kleineren Partien: Miklós Sebestyéns Sparafucile (arg plakativ im Skelettkostüm), Katrin Wundsams Maddalena sowie der Conte di Monterone von Kostas Smoriginas. Die Wiener Symphoniker interpretierten Verdis Klassiker unter der Leitung von Enrique Mazzola engagiert und differenziert; energiegeladen und unheilvoll schon das erste große Crescendo im Vorspiel. Nuanciert und präzise auch im Pianissimo der Prager Phil harmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor. Begeisterter Applaus für alle Artisten. (Stefan Ender, 18.7.2019)