In larissa sansours und Sören Linds Videoarbeit soll der Mythos einer Nation begründet werden.

Foto: Larissa Sansour & Sören Lind

Es ist einer der filmischen Beiträge, die man in den Pavillons der gerade laufenden Biennale von Venedig in Erinnerung behält. Das ist bei über 90 Länderpavillons und gefühlt mindestens ebenso vielen Filmbeiträgen keine kleine Leistung. Der Grund liegt in der atmosphärischen Dichte, die Larissa Sansours und Sören Linds filmische Dystopie auszeichnet.

Sie Palästinenserin, er Däne, haben sie eine Meditation über die Kraft von Widerstand und Erinnerung geschaffen, in der Menschen im Untergrund darüber nachdenken, wie sie die Erinnerung an die eigene Vergangenheit wachhalten. Einer ähnlich atmosphärischen Ballung begegnet man derzeit auch in der Wiener Galerie Charim, in der eine Filmarbeit der beiden Künstler aus dem Jahr 2015 zu sehen ist. Wieder ist es eine Dystopie, wieder geht es um die Macht der Erinnerung einer Widerstandsgruppe. Mithilfe von Porzellanobjekten soll der Mythos einer Nation begründet werden.

Verlorene Räume und Rituale

Erinnerungsräume werden auch in den anderen Beiträgen der diesjährigen Galeriesommerausstellung eröffnet. Sie firmiert unter dem Titel Exil und zeigt neben Lisl Pongers Serie Fremdes Wien aus den beginnenden 1990er-Jahren, in der sie Feste und Zusammenkünfte von Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer dokumentiert, Filmarbeiten von Selma Doborac und Maya Zack.

Letztere beschäftigt sich mit der Rekonstruktion von Lebensräumen und Alltagsritualen und hat als Ausgangspunkt Paul Celans Gedicht Engführung. Eine Zeile darin lautet: "Der Ort, wo sie lagen, er hat / einen Namen – er hat / keinen." Die Erinnerung an den Holocaust bzw. ausgelöschte Orte und Menschen führt die in Tel Aviv lebende Filmemacherin und Künstlerin dazu, in einem Archiv in eine Welt vergilbter Dokumente einzutauchen.

Landkarten der Bukowina werden gewälzt, Fotos gesichtet, Collagen angefertigt. Am Ende entsteht ein Erinnerungsraum samt Germzopf, der von der rituellen, manchmal absurden Art der Beschäftigung mit der Vergangenheit erzählt. Stark. (Stephan Hilpold, 19.7.2019)