Kurz vor der Abwahl des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz ließ einer seiner Mitarbeiter unter falschem Namen Daten aus dem Bundeskanzleramt vernichten.

Foto: apa / nebauer

Wien – Die anonyme Vernichtung von Daten aus dem Bundeskanzleramt hat einen ÖVP-Mitarbeiter ins Visier der Polizei gebracht. Der unter Sebastian Kurz im Kanzleramt tätige Mann hat nämlich anonym Unterlagen vernichten lassen. Die "Soko Ibiza" vermutete daraufhin einen Zusammenhang mit dem Ibiza-Video und holte den Mann von seinem neuen Arbeitsort, der ÖVP-Zentrale, ab, und durchsuchte dessen Wohnung, berichtet der "Kurier".

Dass die Exekutive, die im Auftrag der Grazer Korruptionsstaatsanwaltschaft agiert, überhaupt auf die Geschichte aufmerksam wurde, liegt an einer Betrugsanzeige, die von der Firma Reisswolf eingebracht wurde. Der ÖVP-Mitarbeiter hat nämlich die Vernichtung des Datenträgers nicht bezahlt (laut "Kurier" handelt es sich um 76 Euro) und einen falschen Namen angegeben. Über die angegebene Telefonnummer ermittelte die Polizei schließlich seine Identität und fragte wegen des Verdachts der Unterschlagung von Beweismitteln nach.

IT-Leiter wenig begeistert

Von der Vernichtungsaktion waren laut "Kurier" zumindest zwei Personen informiert, einer davon war bei Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) aktiv und ist nunmehr Gruppenleiter, der andere der Leiter der IT-Abteilung, der wenig begeistert über die Außer-Haus-Schredderung gewesen sein soll.

Volkspartei spricht von Standardvorgang

Als Motiv gab der Mann an, er habe gefürchtet, dass Informationen aus dem Kanzleramt für den Wahlkampf abgesaugt werden, wenn der (wenige Tage später erfolgte) Misstrauensantrag gegen Regierungschef Kurz erfolgreich wäre. Konkret ging es um die Festplatte eines Druckers, auf der alle Drucke von Dokumenten gespeichert werden. Der Mitarbeiter fuhr damit zur Firma Reisswolf, stellte sich mit falschem Namen vor und beobachtete die Vernichtung des Datenträgers.

Ibiza-Video: ÖVP-Mitarbeiter im Visier der Polizei
ORF

Aus der ÖVP hieß es Samstagfrüh, es sei ein völlig üblicher Standardvorgang, dass persönliche Arbeitsunterlagen oder Daten, die nicht Bestandteile von Akten sind, bei einem Ressortwechsel bzw. Büroauszug von Mitarbeitern aussortiert, gelöscht oder geschreddert werden: "Auch bei der Übergabe von Christian Kern an Sebastian Kurz im Dezember 2017 wurden leere Büroräumlichkeiten und keine Datenträger oder Unterlagen aus der Ära Kern vorgefunden." Die Schredderung des Datenträgers durch den Mitarbeiter sei auch nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen des Bundeskanzleramtes erfolgt.

Misstrauen gegen die SPÖ

Angedeutet wird, dass man der in weiten Teilen der SPÖ zugerechneten Spitzenbeamtenschaft im Kanzleramt nicht unbedingt getraut hat: Es sei allen Mitarbeitern klar gewesen, dass jedes Agieren im Bundeskanzleramt sehr aufmerksam von den roten Führungskräften verfolgt und möglicherweise der SPÖ-Zentrale berichtet werde. Verwiesen wird zudem auf den vormaligen SPÖ-Werber Tal Silberstein, der sogar Kurz' Privatleben ausspionieren habe lassen.

So wird in der ÖVP das Motiv des Mitarbeiters erklärt. Dass er dabei möglicherweise nicht rechtskonform gehandelt habe, sei absolut nicht seine Absicht gewesen. Es tue ihm leid und er sei gegenüber der Justiz voll kooperativ und habe den entstandenen Schaden bereits gutgemacht. Außerdem habe der betroffene Mitarbeiter bei der Einvernahme bereits eine Reihe von Verdächtigungen entkräften können.

ÖVP: Videos können nicht ausgedruckt werden

Fest steht für die Volkspartei, dass es keinen Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre geben könne. Denn es habe sich um einen Druckerspeicher gehandelt, bei dem Kopien und Ausdrucke von Mitarbeitern aus Kopiergeräten gespeichert worden seien. Weitere externe Daten oder Videos habe man dort nicht speichern können: "Logischerweise besteht daher auch zum Ibiza-Video kein Zusammenhang."

Andere Parteien wollen Aufklärung

"Zahllose Fragen" sieht dagegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda aufgeworfen. In ihrer Sorge bestärkt fühlt sich Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper. Sie habe immer vor solch einem "Schredder-Gate" gewarnt.

Dass der Mitarbeiter nicht einmal eine Woche nach Veröffentlichung des Ibiza-Skandalvideos unter falschem Namen sensible Daten vernichten habe lassen und jetzt mit einem Job in der ÖVP-Zentrale versorgt sei, spreche Bände, findet Drozda. VP-Chef Sebastian Kurz müsse sich erklären. Auch Krisper will eine ausführliche Darstellung der ÖVP, was genau vernichtet wurde und wieso der ÖVP-Mitarbeiter einen falschen Namen verwendet habe.

Liste Jetzt-Spitzenkandidat Peter Pilz will, dass die Spuren" der ÖVP datenforensisch verfolgt werden. Eines scheine jetzt schon klar: "In der Ibiza-Affäre ist die ÖVP nicht die Unschuld aus der Lichtenfelsgasse."

FPÖ rechnet mit neuer Dynamik

FPÖ-Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein hat wie Krisper eine parlamentarische Anfrage zum "fröhlichen Festplatten-Schreddern" durch einen Mitarbeiter von ÖVP-Chef Sebastian Kurz angekündigt. Er sieht einen höchst verdächtigen Vorgang, den es aufzuklären gelte.

Er mutmaßt, dass die ÖVP-Dementis bezüglich E-Mails zwischen Kurz und dem früheren Kanzleramtsminister Gernot Blümel zum Ibiza-Video falsch seien. Vielmehr dürften im Zuge der Kommunikation zwischen den beiden ÖVP Politikern auch weit sensiblere Dinge besprochen worden sein, glaubt Jenewein. Hier sei in den nächsten Tagen und Wochen noch einige "Dynamik" zu erwarten", rechnet Jenewein mit weiteren Hinweisen. (APA, 20.7.2019)