Das Wetter hielt. Erst als sich der Teufel kokett und im roten Pelz die hydraulische Bühne hochhantelte, fielen die ersten Tropfen. Doch da standen der Glaube und die guten Werke bereits triumphierend vor der Treppe, die hinein in den Dom führt, aber hier natürlich das Jenseits symbolisiert. Wieder eine schlechte Seele gerettet, wieder ein sündiges Menschenleben ins Trockene gebracht.

In den vergangenen zwei Jahren war das nicht der Fall. Beide Male mussten die Premieren der Neuinszenierung von Michael Sturminger im Großen Festspielhaus über die Bühne gehen. Ohne die imposante Fassade des Domes, deren drei Rundbögen sich im Bühnenbild von Renate Martin und Andreas Donhauser spiegeln – ohne die Mitspieler Autogeräusche, Helikoptergebrumm und Windrauschen.

Seitenblicke: Neues vom Jedermann
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Doch diese Klangkulisse gehört zu den Salzburger Freiluftspielen wie der Tod (auch heuer wieder Peter Lohmeyer) zum Jedermann. Und vielleicht liegt es auch daran, dass Sturmingers Modernisierungsversuch von Hugo v. Hofmannsthals "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" erst jetzt, im dritten Jahr seiner Aufführung, wie aus einem Guss erscheint. Holperten die Verse in den vergangenen Jahren ab der zweiten Spielhälfte noch beträchtlich, stimmt jetzt der von Kompositionen Wolfgang Mitterers unterlegte Sound.

Tobias Moretti und Valery Tscheplanowa im "Jedermann" in Salzburg.
Foto: APA/Gindl

In ihrer wunderbaren Widerspenstigkeit künden sie vom tiefen Fall eines Mannes, der Bettlern Almosen verwehrt und Schuldnern die Natur des Geldes erklärt. "Mein Geld weiß nit von dir noch mir / Und kennt kein Ansehen der Person." Dass Jedermann am Ende vom Mammon (Christoph Franken als güldenes Wuschelmonster) höchstpersönlich darüber aufgeklärt wird, dass dies auch auf ihn selbst zutrifft, ist keine kleine Pointe in Hofmannsthals 1911 uraufgeführtem und seit 1920 (mit Unterbrechungen in der Nazizeit) am Salzburger Domplatz gegebenem Mysterienspiel.

Puristisch und unangenehm

Lange etwas lieblos als Geld bringendes Beiwerk zu den Festspielen behandelt, wurde der Jedermann in den vergangenen Jahren immer wieder auf seine Tragfähigkeit für die Gegenwart hin abgeklopft. Das anglosächsiche Regieduo Brian Mertes und Julian Crouch versuchte den circensischen Charakter des "Everyman" wiederzubeleben, Sturmingers Ansatz ist puristischer, sezierender, auch unangenehmer.

Als sei der Jedermann mehr als die Fragen, welches Kleid die Buhlschaft trägt und welches neue Jedermann-Spieler-Gericht es auf die Speisekarte des Triangel schafft. Um erstere gleich zu beantworten: Erst einen mit Federn bestickten Glitzer-Overall (!), dann ein hochgeschlitztes und tiefdekolletiertes rotes Chiffon-Kleid.

Beides steht der neuen Buhlschaft Valery Tscheplanowa ausgezeichnet, die allerdings auch in einem Sackkleid einen starken Auftritt hingelegt hätte. Wie eine Brecht/Weill-Moritat stimmt sie bei ihrem ersten Auftritt das alte Volkslied "Der grimmig Tod mit seinem Pfeil" an, um sich hernach wie auf einer Go-Go-Bühne zu präsentieren. Diese Buhlschaft buhlt, aber sie ist auch eine allegorische Figur wie alle anderen Charaktere in diesem Stück. Das hat man in Salzburg lange vergessen, und es ist kein kleiner Verdienst von Tscheplanowa, einen unbekümmerteren, weniger realistischen Blick auf diese Figur zu werfen.

Moretti im Zentrum

Alle anderen machen es sowieso, allen voran Jedermann Tobias Moretti, der die schwierigen Knittelverse beinahe so gut spricht wie seinen Tiroler Dialekt. Moretti ist natürlich das Zentrum der 100-minütigen Aufführung, und daran lässt er erst in Gockel-, dann in Kämpfermanier keine Sekunde Zweifel aufkommen. Wenn der Boden unter seinen Füßen nachgibt und die gesamte Festtagstafel in die Tiefe rutscht, dann hat er erst im Zweifel, dann im Aufbäumen seine stärksten Momente.

Bruder Gregor Bloéb (er ist eine von insgesamt sieben Umbesetzungen) tut sich schwerer. Als Geselle jagt er Pointen hinterher, die er erst in der Rolle des herrlich dumben Teufels umsetzen kann. Björn Meyer und Tino Hillebrand als Dicker und Dünner Vetter passen zusammen wie Converse und Hirschlederne, die im Alpenvorland das Paar der Stunde sind. Mavie Hörbiger bäumt sich als Werke wieder eindrucksvoll aus dem Krankenbett auf.

Etwas irritierend nur weiterhin das jähe Ende der Inszenierung. Aber gut, es reicht, wenn man aus dem Jedermann mit einem fragenden Gewissen kommt. Nass werden muss man nicht auch noch. (Stephan Hilpold, 21.7.2019)