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Im Februar 2016 landeten die ersten syrischen Flüchtlinge im Rahmen des humanitären Korridors auf dem Flughafen von Rom.

Foto: AP/Alessandra Tarantino

Es ist Bewegung gekommen in der Frage, wie die Flüchtlingskrise im Mittelmeer gelöst werden kann. Ob es am Fall Carola Rackete lag, sei dahingestellt. Fakt ist, es wird in Europa wieder auf allerhöchster Ebene darüber diskutiert, dem Sterben auf hoher See ein Ende zu bereiten. Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte einen Pakt für Migration und Asyl an, um den Streit in der Union in puncto Flüchtlingsverteilung zu beenden. Zudem sprach sie sich für eine Reform der Dublin-Regelung aus, wonach Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen müssen, in dem sie als Erstes europäischen Boden betreten. Ihr Ziel ist, mehr Fairness und Lastenverteilung in der EU zu erreichen.

Was genau in dem Pakt enthalten sein soll, ist noch nicht bekannt. Vorstellen kann sich von der Leyen humanitäre Korridore für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Den gleichen Vorschlag unterbreitete vor kurzem auch Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi seinen EU-Amtskollegen in Brüssel.

Brief an die Regierung

Die Idee dieser humanitären Korridore stammt aber nicht von der Regierung in Rom selbst, sondern sie wurde ihr bereits Ende April quasi zugeflüstert. Da erhielt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conti einen Brief von der Union der evangelischen Kirchen Italiens und der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio.

Darin schlugen sie einen europäischen humanitären Korridor vor, im Zuge dessen binnen zwei Jahren 50.000 Flüchtlinge auf jene Länder aufgeteilt werden sollen, "die ihre nationalen Verpflichtungen im Bereich von Asyl und Menschenrechten konkret umsetzen möchten". Zudem soll es einen weiteren Korridor für jährlich 2500 Menschen aus Libyen geben.

Die beiden Organisationen erklärten sich bereit, an diesem Projekt mitzuwirken, schließlich verfüge man diesbezüglich über drei Jahre Erfahrung – denn Anfang 2016 starteten sie den ersten humanitären Korridor.

"Es war die Zeit, als viele Syrer in den Libanon geflüchtet sind", sagt Rita Simeoni von der Gemeinschaft Sant'Egidio dem STANDARD. Es folgte ein Abkommen mit der Regierung, einen humanitären Korridor für syrische Flüchtlinge im Libanon zu errichten. Rom erklärte sich bereit, humanitäre Visa für besonders schutzbedürftige Menschen bereitzustellen. Die beteiligten Organisationen entsandten Freiwillige in den Libanon, um gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und anderen vor Ort tätigen Hilfsorganisationen jene zu finden, die für einen humanitären Korridor infrage kommen: Verletzte, Kranke, Vergewaltigungs- und Folteropfer, Alte, Menschen mit Behinderung, Eltern mit kleinen Kindern – alle mit hohen Chancen, Asyl zu erhalten.

"Kein Sicherheitsrisiko"

Nach eingehender Prüfung durch die Organisationen wurde eine Kandidatenliste an Italiens Behörden geschickt. Erst wenn das Innenministerium sein Okay gab, wurden die Visa erteilt, die nur für Italien gültig sind. "Es gibt deshalb kein Sicherheitsrisiko", sagt Simeoni. Mit Charterfliegern wurden sie schließlich nach Italien geflogen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Im Juni 2017 hat Sant' Egidio gemeinsam mit der italienischen Bischofskonferenz und der Regierung in Rom ein weiteres Abkommen für Menschen aus dem subsaharischen Afrika abgeschlossen, etwa aus Somalia, Eritrea oder dem Sudan.

Mittlerweile, so Simeoni, wurden 2600 Menschen auf diesem sicheren Weg nach Italien gebracht – und auch nach Frankreich und Belgien, die später bei diesem Projekt einstiegen. In einem Bericht vom April erklärte die Caritas Italien, dass 97 Prozent der Ankömmlinge einen offiziellen Flüchtlingsstatus erhielten, der Rest subsidiären Schutzstatus.

Nach ihrer Ankunft, sagt Simeoni, wird sofort mit der Integration begonnen, mit Sprachkursen als erster Maßnahme. Dann folgen Arbeit beziehungsweise Ausbildung. Laut Caritas-Bericht wurden sämtliche Minderjährigen im schulpflichtigen Alter eingeschult. 24 Prozent der Erwachsenen haben eine Arbeit gefunden, ein Drittel befindet sich in Berufsausbildungsmaßnahmen. Alles werde laut Simeoni von den teilnehmenden Organisationen finanziert.

Laut Sant'Egidio keine Probleme

Probleme gab es nie, sagt Simeoni, es sei ja alles legal und durchorganisiert. Auch mit dem am 1. Juni 2018 erfolgten Amtsantritt von Lega-Chef Matteo Salvini als Innenminister habe sich daran nichts geändert. Ganz im Gegenteil, Anfang Mai 2019 haben Innen- und Außenministerium mit der Bischofskonferenz und Sant'Egidio ein weiteres Abkommen für einen humanitären Korridor für weitere 600 Asylwerber aus Äthiopien, Niger und Jordanien abgeschlossen. "Salvini war bei der Unterzeichnung nicht dabei, wir reden auch nicht direkt mit ihm, unsere Ansprechpartner sind andere", sagt Simeoni.

Bei Sant'Egidio ist man nun gespannt, was aus den Vorschlägen Italiens und von der Leyens wird. "Wir hoffen natürlich, dass sie umgesetzt werden. Menschen sterben in Libyen und im Mittelmeer, und jedes Mal gibt es Streit um Hafenöffnungen für NGO-Schiffe. Das muss verhindert werden" , sagt Simeoni.

Doch wie viele Menschen in Libyen wären Kandidaten für einen humanitären Korridor? "Wir wissen von etwa 50.000 Flüchtlingen, die in Libyen außerhalb der Lager leben", sagt Charlie Yaxley, UNHCR-Sprecher für die Mittelmeerregion. "Für einen humanitären Korridor würden aber etwa 5600 Menschen in den Lagern infrage kommen." Besonders konzentriere sich das UNHCR dabei auf jene etwa 3800 Flüchtlinge, deren Lager in oder am Rande eines Konfliktgebiets liegen. "Die brauchen sofort Hilfe", sagt Yaxley und erinnert dabei an einen Luftangriff in Tajoura. Dabei wurden Anfang Juli in einem Lager dutzende Flüchtlinge getötet. (Kim Son Hoang, 22.7.2019)