Dirigent Grant Gershon mit den Sängerinnen und Sängern des Los Angeles Master Chorale in "Lagrime di San Pietro".

Foto: Marco Borrelli

Peter Sellars ist ein Festspielklassiker, Historiker erinnern sich: In den frühen 1990ern verlieh er der Reformära Gerard Mortiers mit Messiaens Saint François d’Assise einen ersten Regieschub. Ein paar Intendanten später ist der Amerikaner nicht einfach wieder dabei. So viel wie diesen Sommer, hat Sellars wohl in Salzburg noch nie zu grübeln und zu gestalten gehabt.

Er deutet nicht nur Mozarts Idomeneo, die erste Premiere. Er hält auch die Festrede bei der Eröffnungszeremonie am nächsten Samstag. Und weil die Salzburger Festspiele seit Ex-Intendant Alexander Pereira, der die Ouverture spirituelle erfunden hat, zweimal beginnen, hatte Sellars auch das erste Regiewort, als er Renaissanceklänge in Szene setzte.

Untröstlicher Petrus

Die Vorlage ist allerdings kein Musiktheater. Orlando di Lassos Lagrime di San Pietro strahlt selbstgenügsam als Wunderwerk kontrapunktischer Klarheit, das eine Rückschau symbolisiert. In A-cappella-Form steht der untröstliche Petrus im Mittelpunkt, der Jesus verleugnet hat.

Das letzte Werk des Komponisten verleiht Petrus’ Worten (Texte von Luigi Tansillo) zwar tiefe Emotionalität. Schuldempfinden, Todessehnsucht und Erinnerungen an wundersame Augenblicke werden aber überwiegend mit sublimen Vokalgesten umgesetzt. Stimmen verschmelzen dabei zu narkotisch wirkender Harmonik und streben wieder polyphon auseinander, bis am Werkende alles in den Schmerzensworten Christi mündet:

"Sieh, Mensch, was ich an dir leide ..." formt Sellars in der Kollegienkirche zu einem Akt der Aussprache und Versöhnung. Der exzellente Los Angeles Master Chorale gruppiert sich zu Pärchen, die einander umarmen. Die Thematik wird vom Biblischen auf die Alltagsebene transferiert.

Schuldseele

In dieser szenischen Etüde über die Qualen einer rückblickenden Schuldseele findet sich jedoch viel mehr: plakative Verdopplungen des Textes ebenso wie gemäldeartiges Innehalten der Sängerinnen und Sänger. Grelle Mimik ebenso wie offensiver Körperausdruck von Schmerz.

Im letzten Drittel darf der ausgezeichnete Chor unter der Leitung von Grant Gershon dann allerdings verstärkt wieder ruhig im Halbkreis Platz nehmen und einfach singen. Und siehe da: Es sind paradoxerweise die packendsten Momente des Abends. Sie zeigen, dass dem intimen Tränenwerk mehr szenische Gelassenheit eigentlich noch mehr Intensität verliehen hätte als der punktuelle Aktionismus. (Ljubisa Tosic, 21.7. 2019)