Völlegefühl, Übelkeit, Reizdarm: Bei jeder Art von Bauchweh soll das Magenmittel Iberogast von Bayer helfen. Die Wirkstoffe des darin enthaltenen Schöllkrauts können gefährliche Nebenwirkungen haben – diesen Hinweis wollte der Hersteller lange Zeit nicht in den Beipackzettel aufnehmen.

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Mittel, die wirken, haben immer auch Nebenwirkungen: Von diesem Grundprinzip gehen Pharmazeuten aus. Und insofern sind auch Wirkstoffe aus der Natur keineswegs so harmlos, wie viele Menschen glauben.

Konkret ist das Schöllkraut im Visier. Schöllkraut ist eine Pflanze aus der Gattung der Mohngewächse. Es enthält eine Vielzahl von Alkaloiden, die gegen Viren, Bakterien und Pilze wirken, was mit dem eiweißauflösenden Effekt zusammenhängen könnte.

Schöllkraut ist auch in dem rezeptfreien Mittel Iberogast des deutschen Pharmakonzerns Bayer enthalten. "Rasche Hilfe für Magen und Darm" ist der Satz, mit dem Bayer für das Medikament wirbt, das gegen alle Arten von Bauchweh angepriesen wird. Es wirkt gegen Völlegefühl genauso wie gegen das Reizdarmsyndrom oder Übelkeit. Deshalb wird es auf der Website auch als Multi-Target-Therapie angepriesen.

Schwere Vorwürfe

Nun bekommt Bayer jedoch Probleme. Nach Informationen des "Handelsblatts" ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln derzeit im Umfeld des Konzerns. Mitte 2018 wurde bekannt, dass eine Frau in Deutschland an Leberversagen und inneren Blutungen starb, die zuvor Iberogast eingenommen hatte. Gegen Bayer laufen Schadenersatzklagen. Der zentrale Vorwurf: Im Beipackzettel des Medikaments wurde nicht auf die mögliche Gefahr eines Leberschadens hingewiesen – und das obwohl der Bayer-Konzern wiederholt dazu aufgefordert wurde.

Der Disput reicht bis ins Jahr 2008 zurück. Damals wurden dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) rund 50 Fallberichte aus Deutschland vorgelegt, bei denen ein Zusammenhang zwischen Leberschäden und Schöllkraut in konsumierten Präparaten vermutet wurde. Die Behörde forderte in der Folge Hersteller von Produkten mit mindestens 2,5 Mikrogramm Schöllkraut pro Tagesdosis auf, ihre Beipackzettel um entsprechende Hinweise zu ergänzen.

Sehr umsatzstark

Der Iberogast-Hersteller, zu jener Zeit noch Steigerwald, legte jedoch Widerspruch ein. Im Jahr 2013 übernahm Bayer das auf pflanzliche Arzneimittel spezialisierte Familienunternehmen und verweigerte die Ergänzung des Beipackzettels weiterhin. "Wir sind der Meinung, dass es nicht im Interesse der Patienten ist, Warnhinweise in die Gebrauchsinformationen aufzunehmen, die unbegründet sind," zitiert das "Handelsblatt" aus dem damaligen Bericht einer führenden Bayer-Mitarbeiterin. Iberogast ist eines der umsatzstärksten Arzneimittel von Bayer: Laut Angaben des Pharma-Marktforschers Insight Health beträgt der jährliche Umsatz damit 120 Millionen Euro.

Erst als Mitte 2018 der Tod der Frau bekannt wurde, sah man sich gezwungen, die folgende Warnung aufzunehmen: "Bei der Anwendung von Schöllkraut-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (…) bis hin zu arzneimittelbedingter Gelbsucht (…) sowie Fälle von Leberversagen aufgetreten."

Aufgrund der Sachlage ist der Konzern nun mit dem Vorwurf einer möglichen fahrlässigen Tötung und Körperverletzung konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, um den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Iberogast und dem Tod der Patientin zu klären. Möglicherweise wäre sie durch einen entsprechenden Hinweis auf der Packung gewarnt und ihr Tod verhindert worden. (red, 22.7.2019)