In den vergangenen Wochen rissen Wölfe in Salzburg und Tirol wieder Schafe. Sie sollen geschützt werden, aber auch die Kultur der alpenländischen Weidewirtschaft, meint der Landwirtschaftskammerfunktionär Gregor Grill.

Die Rückkehr der Wölfe nach Österreich und die damit verbundenen Auswirkungen beschäftigen seit geraumer Zeit viele Experten, Politiker, NGOs, Viehhalter und die Wissenschaft. Die Gesellschaft wird insbesondere medial über Risse durch Wölfe, die Forderungen nach Abschuss oder weiterhin strengem Schutz, aber jedenfalls mit einer Polarisierung zu diesem Thema konfrontiert. Es scheint, als ob es derzeit nur "pro" oder "kontra" Wolf geben kann.

Das ist zu kurz gegriffen und wird auch den Herausforderungen nicht gerecht. Es ist sicherlich so, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen aktuell klar den Schutz von großen Beutegreifern wie dem Wolf in den Vordergrund stellen. Sowohl die Berner Konvention als auch deren Umsetzung in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) in der EU sehen einen strengen Schutzstatus vor. Am Beginn der FFH-Richtlinie findet sich allerdings unter anderem folgende Formulierung: "Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen."

Bis zu 18.000 Wölfe

Die Richtlinie sieht also vor, auf Konflikte bei Ausbreitung und Verbesserungen des Zustands solcher Arten zu reagieren. Mit rund 15.000 bis 18.000 Wölfen in Europa sollte dies angesichts der hohen Vermehrungsraten berücksichtigt werden. Als zentrales Ziel gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten für prioritäre Arten vor, in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einen günstigen Erhaltungszustand dieser Arten zu bewahren oder wiederherzustellen.

Das umfasst ganz Europa. Ausnahmen davon erlaubt Artikel 16, wenn z. B. die Sicherheit von Menschen gefährdet wird oder ernste wirtschaftliche Schäden in der Tierhaltung oder an sonstigen Formen von Eigentum auftreten. Dies kann die Entnahme bedeuten, sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt.

Der Wolf ist auch in Österreich wieder heimisch. Das führt unweigerlich zu Konflikten in unserer Kulturlandschaft, und die müssen mit Bedacht gemanagt werden.
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Deshalb muss in einer Kulturlandschaft abgewogen werden, wie viele Wölfe es in Österreich geben soll bzw. in welchen Gebieten die Konflikte und die Auswirkungen nicht mehr akzeptabel sind. Das Europaparlament schlägt vor, den Schutzstatus zu verringern und Weideschutzgebiete einzurichten, um die Freiweidehaltung im Alpenraum mit ihrem hohen Stellenwert abzusichern.

Die Auswirkungen durch Wölfe auf die Kulturlandschaft sind umfassend. Einerseits sind Viehhalter, insbesondere wenn diese eine Weidehaltung mit Schafen und Ziegen betreiben, unmittelbar durch Risse betroffen. Die dann empfohlenen Maßnahmen lauten: wolfssichere Einzäunungen der Weiden, Herdenschutzmaßnahmen durch Behirtung und Hütehunde sowie Schutzhunde.

Kulisse für den Tourismus

Aktuell lautet der einhellige Befund für Österreich, dass weder Hirten noch Hunde vorhanden sind. Arbeitskapazitäten der mehrheitlich im Nebenerwerb tätigen Viehhalter sind ebenfalls nicht in erforderlichem Ausmaß verfügbar. Dass Weiden in Hofnähe mit Zäunen unter zumutbarem Aufwand ausgestaltet werden können, ist wohl allgemein möglich. Almen hingegen sind extrem schwierig bis gar nicht zu umzäunen, und die Weidehaltungssysteme müssten in diesem Fall völlig geändert werden.

Vergleiche mit anderen Ländern Europas halten in vielen Bereichen nicht stand. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Ausbreitung der Wölfe in Österreich wesentlich schneller vor sich geht als die (theoretisch mögliche) Ausbildung von Hirten und Hunden. Daher erscheint es sehr wahrscheinlich, dass jene Viehhalter, die kleine Herden halten und im Nebenerwerb tätig sind, die Viehhaltung aufgeben werden, sobald eine längerfristige Wolfsanwesenheit in ihrem Gebiet oder wiederholte Übergriffe auf ihre Herden stattfinden.

Andererseits beherbergen Weideflächen – aufgrund ihrer extensiven Bewirtschaftung – wertvolle Lebensräume, die in den Anhängen der FFH-Richtlinie ebenfalls als prioritär herausgestellt werden. Diese Lebensräume werden bei Aufgabe der Beweidung durch die natürliche Sukzession verschwinden, ebenfalls ein Faktum. Darüber hinaus bietet die Landbewirtschaftung in vielen Regionen Österreichs eine beeindruckende Kulisse für den Tourismus. Auch die Bewirtschafter der Almen profitieren davon. Die Urproduktion auf den Almen durch Fleisch- Milch-, Käse- oder Buttererzeugung beträgt gemäß Statistik rund 45 Millionen Euro pro Jahr (BMLFUW 2015), das touristische Einkommen nur für die Bewirtschafter (ohne Seilbahnwirtschaft, Hotels etc.) steht im Verhältnis dazu bei bis zu 1:9 (vgl. Greif & Wagner, 1995). Damit sind die Bewirtschaftung der Almen mit Vieh und die daraus gewonnenen Urprodukte Basis für einen viel größeren touristischen Beitrag von bis zu 400 Millionen Euro. Wenn die Urproduktion durch Aufgabe ausfällt, sind diese Effekte mit weitreichenden Auswirkungen auf die gesamte Tourismuswirtschaft nicht mehr existent.

Andere Maßstäbe nehmen

Ich plädiere deshalb dafür, für den Schutz der Wölfe einen anderen Maßstab anzusetzen. Für Europa kann ein guter Erhaltungszustand attestiert werden, Wölfe kommen nur nicht überall vor. Es gibt zahlreiche Gebiete, wo die Wolfsanwesenheit irreversible Prozesse z. B. beim Strukturwandel der Landwirte oder im Tourismus einleiten kann. Alles deutet auch in Österreich auf Betriebsaufgabe bei kleineren und Einstallung der Tiere bei größeren Betrieben hin, genau das Gegenteil der gesellschaftlichen Wünsche an die Landwirtschaft. Akzeptanz für Naturschutz bei den Betroffenen kann es nur geben, wenn die FFH-Richtlinie in allen Bestimmungen gelebt wird und Anpassungen an die Entwicklungen in Europa erfolgen. (Gregor Grill, 22.7.2019)