Die Firma Reisswolf kann sich dank der Berichterstattung wohl über einen guten Werbeeffekt freuen – das Team von Altkanzler Kurz wohl weniger

Foto: APA/Neubauer

Für ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist es ein "ganz üblicher Vorgang" – für seine Nachfolgerin auf dem Ballhausplatz, die derzeitige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, jedoch offenbar nicht so ganz. Sie hat am Montag eine interne Evaluierung angeordnet. Es soll geprüft werden, ob das externe Schreddern einer Druckerfestplatte aus dem Kanzlerbüro ordnungsgemäß gewesen sei oder nicht.

Prinzipiell hält Bierlein fest, dass "die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten der üblichen Praxis bei einem Regierungswechsel" entspreche. Ob die Schredderaktion des Kurz-Mitarbeiters rechtmäßig war, soll jetzt geklärt werden, zumal sich Bierlein in dieser Causa auch mit einer ganzen Reihe an parlamentarischen Anfragen konfrontiert sieht. Auch die Polizei ermittelt in dieser Angelegenheit.

Wie berichtet, hatte ein Mitarbeiter von Kurz die Festplatte eines Druckers aus dem Kabinett zur Firma Reisswolf gebracht und dort unter Angabe eines falschen Namens schreddern lassen. Die einzelnen Bestandteile hatte er danach wieder im Kanzleramt abgegeben. Aufgeflogen war die Aktion, weil der Mitarbeiter die Rechnung nicht bezahlt und die Firma schließlich eine Betrugsanzeige erstattet hatte. Da der Mann seine richtige Handynummer angegeben hatte, konnte er ausgeforscht werden. Von der Aktion waren offenbar mehrere Leute im Bundeskanzleramt in Kenntnis gesetzt worden.

Kurz erklärte während seiner USA-Reise ins Silicon Valley, dass bei einem Regierungswechsel "Laptops und Handys zurückgegeben und Druckerdaten gelöscht oder vernichtet" würden, das sei ganz normal. Da sich der Mitarbeiter entschuldigt und die Rechnung mittlerweile beglichen habe, gebe es sonst nichts dazu zu sagen.

Ab ins Archiv

Üblich ist jedenfalls, so bestätigt auch das Kanzleramt, dass Unterlagen, die nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegen und als privat oder vertraulich gelten, gelöscht werden dürfen. Auch entsprechende Datenträger können vernichtet werden, entweder machen das die Experten des Hauses oder es geschieht im Beisein dieser Experten, wenn etwa die Firma Reisswolf zur Vernichtung von Unterlagen angefordert wird.

Prinzipiell müssten Ministerien, die kein eigenes Archiv haben, ihr sogenanntes Schriftgut dem Staatsarchiv anbieten. Dieses kann binnen eines Jahres entscheiden, "welches Schriftgut als Archivgut" gilt, wie es im Bundesarchivgesetz heißt. Dabei gibt es einige Ausnahmen, auch im Bereich dienststelleninterner Korrespondenzen. Eine eigenständige Bewertung und Vernichtung der Akten durch Ministerien sieht das Gesetz nicht vor. Aus dem Staatsarchiv heißt es unter der Hand, dass die Abgabe von Schriftgut "so gering wie noch nie zuvor" gewesen sei: "Das Staatsarchiv wird ausgebremst." Das Bundesarchivgesetz sei eine "unheimlich zahnlose Geschichte", Sanktionen könne das Staatsarchiv nicht verhängen.

Spitze des Eisbergs

Im Bundeskanzleramt machen seit Wochen verschiedene Gerüchte die Runde. So sagen mehrere Mitarbeiter, die anonym bleiben wollen, dass die Reisswolf-Aktion "nur die Spitze des Eisbergs" gewesen sei. Auf Missmut stoßen auch die Erklärungen, die vom Umfeld des Altkanzlers geliefert werden. So sei das Schreddern der Festplatte nötig gewesen, da bereits in der Vergangenheit Daten aus einer Druckerspeicherplatte ihren Weg an die Medien gefunden hätten.

Konkret handelt es sich dabei um die Strategiepapiere der "Operation Ballhausplatz", in denen der damalige Außenminister Kurz und seine Vertrauten den Plan für eine Übernahme des Kanzleramts skizzierten. Die Beamten fühlten sich durch das Misstrauen des Kurz-Umfelds "unter Generalverdacht gestellt", sagt ein hochrangiger Beamter dem STANDARD. Außerdem wird darauf verwiesen, dass parteipolitische Inhalte nicht im Ministerium ausgedruckt werden sollten.

Heinrich Berg vom Wiener Stadt- und Landesarchiv verweist ebenfalls darauf, dass im Bundesarchivgesetz keine Strafbestimmungen enthalten seien. Berg gilt als Koryphäe der Archivwissenschaft. Für ihn ist der aktuelle Schredderfall eine "schwierige Interpretationssache". Es gebe keine Judikatur dazu, ob das Staatsarchiv alle Daten sehen und einstufen müsse oder ob Ministerien selbst bestimmte Dokumente als löschbar klassifizieren können.

"Da das Kanzleramt selbst betroffen ist, erwarte ich mir dazu auch keine künftige Gesetzgebung", sagt Berg. Fehlende Sanktionsmöglichkeiten seien im europäischen Archivrecht an der Tagesordnung. Von Fällen wie einem in den Archivwissenschaften legendären südkoreanischen Archivar, der wegen verlorener Akten Harakiri begangen haben soll, sei man in Europa jedenfalls weit entfernt. (Michael Völker, Fabian Schmid, 22.7.2019)