Wien – Die ÖVP gerät durch das seltsame Verhalten eines engen Vertrauten von Ex-Kanzler Sebastian Kurz zunehmend unter Druck. Der Geschäftsführer der Firma Reisswolf, Siegfried Schmedler, berichtet gegenüber der Wochenzeitung "Falter" von einem ungewöhnlichen Vorgang rund um die Schredderung von insgesamt fünf Datenträgern durch den ÖVP-Mitarbeiter. Die Aktion erfolgte am 23. Mai – also vier Tage vor dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen das Kabinett Kurz.

In der 25-jährigen Geschichte des Unternehmens sei es "noch nie passiert", dass jemand "unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten lassen" habe, erklärt Schmedler.

Für Ex-Kanzler Sebastian Kurz läuft das ungewöhnliche Verhalten seines Mitarbeiters unter "übliche Vorgänge".
Foto: APA/HANS PUNZ

Der Mann habe sich bereits bei der Anmeldung "nervös verhalten" und wollte "auf keinen Fall die Festplatten aus der Hand geben", schildert er in einem Videobeitrag des "Falter". Zudem habe er auf drei Schredderdurchgängen bestanden, so Schmedler: "Er hat unsere Mitarbeiter immer wieder aufgefordert, die schon geschredderten Partikel wieder auf das Förderband zu legen und neuerlich zu schreddern." Normalerweise reiche ein Vorgang, um eine normgerechte Vernichtung sicherzustellen.

Geschredderte Teile mitgenommen

Zudem habe er darauf bestanden, die geschredderten Teile wieder mitzunehmen. Einer der Reisswolf-Mitarbeiter habe ihn dann bei der Abschlussrede von Sebastian Kurz in der politischen Akademie wiedererkannt. Über die angegebene Telefonnummer sei man auf seinen richtigen Namen gekommen. Weil er die Rechnung von rund 76 Euro nicht bezahlt habe, habe man Anzeige erstattet. Der Geschäftsführer sei laut eigenem Bekunden dann an die zuständige Staatsanwältin in der Ibiza-Affäre vermittelt worden.

Klar ist mittlerweile auch, wer der Mitarbeiter des Kanzleramts war, auch wenn sein Gesicht in dem Video verpixelt wurde. Es handelt sich um einen Fotografen aus dem Team von ÖVP-Chef Kurz, der auch dessen Social-Media-Aktivitäten betreute.

FALTER

Kurz hat die verbliebenen Akten aus seinem Ressort bisher übrigens nicht an das Staatsarchiv geliefert. Andere Ministerien hingegen schon – etwa Herbert Kickls Innenministerium oder das von Hartwig Löger gelenkte Finanzressort, erklärt Manfred Fink, Generaldirektor des Staatsarchivs, im Gespräch mit der APA.

Könne ein paar Wochen dauern

Allzu ungewöhnlich ist es allerdings auch nicht, dass von Kurz bisher nichts weitergeleitet wurde. Das könne durchaus ein paar Wochen dauern und hänge etwa von der Art der Verpackung ab, erläutert Fink. Auch andere Ressorts der türkis-blauen Koalition haben bisher nichts an das Staatsarchiv übermittelt.

Das müssen die Ministerien auch nicht. Denn sie selbst entscheiden, was sie an das Staatsarchiv geben müssen. Zudem haben sie als Zweitoption, die Dokumente ihren Amtsnachfolgern zu überlassen. In der Regel geschieht dies, wenn der neue Minister von derselben Partei ist, wie Fink erläutert. Kommt der Nachfolger aus einer anderen Partei, wird lieber ans Staatsarchiv übergeben.

25 Jahre lang kein Einblick

Sind die Unterlagen einmal übermittelt, sind sie bestens geschützt. Denn 25 Jahre lang darf niemand Einblick nehmen, nicht einmal das Staatsarchiv selbst – kein Idealzustand, wie Generaldirektor Fink findet. So stelle sich bei Datenträgern die Frage, ob diese nach einem Vierteljahrhundert überhaupt noch lesbar seien. Wenn jetzt durch die Schredder-Affäre diese Regelungen überdacht werden, könnte das für die Forschung zum Meilenstein werden.

Die Öffentlichkeit erhält überhaupt erst 30 Jahre nach Übergabe der Dokumente Einblick. Fünf Jahre hat das Staatsarchiv davor Zeit, entsprechende Einordnungen vorzunehmen. Da das Gesetz erst 2000 in Kraft getreten ist, heißt es also bis 2030 warten, bis Unterlagen – konkret jene aus der rot-schwarzen Regierung Viktor Klima – öffentlich verwertbar sind. Bis 2025 weiß nicht mal das Archiv, was drin ist – auch nicht, in welcher Form, wenn es nicht von den scheidenden Ministern gesondert angegeben wurde.

Zugang nur für Amtsträgern

Zugang haben nur die Amtsträger selbst. Vorgekommen ist das bisher bei Untersuchungsausschüssen, wo die Ex-Minister die Daten selbst abholen müssen – begleitet von einem Staatsarchivbeamten, damit nichts abhandenkommt. Dass Ermittlungsbehörden sich an das Staatsarchiv gewendet hätten, um Einsicht in Unterlagen zu bekommen, sei bisher nicht vorgekommen, sagt Fink.

Die Parteien abseits der ÖVP nehmen die Schredder-Affäre nun dankbar auf und bombardieren die Regierung mit parlamentarischen Anfragen. So wollen SPÖ und Neos unter anderem wissen, wer von der Datenvernichtung der Kanzleramtsdateien wusste, ob Kurz seiner Nachfolgerin Akten überlassen habe sowie weswegen nun genau ermittelt werde. Auch die FPÖ zweifelt an den ÖVP-Angaben. (APA, mika, 23.7.2019)