Sie waren schwarz und saßen wie Bausteine auf den Nasen. Die kompakten Nerd-Brillen der Neunziger- und Nullerjahre sollten signalisieren: Ich bin cool genug, um zwischen mich und das Weltgeschehen ein Fensterglas zu schieben. Nun wird das Ruder herumgerissen. In Zeiten der großen Aufgeregtheit ist eine neue Ernsthaftigkeit zu beobachten, auch auf den Nasenrücken.

Während Brillenverweigerer Donald Trump (der sogar während der letzten Sonnenfinsternis auf eine Schutzbrille verzichtete) die Schlagzeilen dominiert, kehrt die dezente "Lesebrille" zurück. Die Gestelle sind aus Metall gefertigt und sehen eher elegant als provokant aus. Sie erinnern an ein längst vergessen geglaubtes, überkommenes Klischee: Die bebrillte Bibliothekarin, die "Brillenschlange", die ihre Nase am liebsten in Bücher steckt, ist wieder da.

Denn den Millennials hat es das Bild der intellektuellen Schönen angetan. Das ist durchaus verständlich. Zu oft wurde der Generation Y Oberflächlichkeit vorgeworfen. Es hieß, Millennials könnten nicht mehr, als Zahnpastatuben in die Kamera zu halten und in Schmink-Tutorials stundenlang über Wimpernbögen und Lidschatten zu philosophieren.

Nun scheint es, als wollten jene Millennials endlich für voll genommen werden. Schöne Influencerinnen balancieren auf Instagram dünne Drahtgestelle auf den Nasen und empfehlen Bücher! Als Pierce Brosnan neulich seinen 22-jährigen Sohn Dylan zur Premiere des neuen Tarantino-Streifens mitnahm, trug dieser zu Hemd und Lederjacke eine schmale Brille: Ernst ist das neue Sexy.

Auch Pierce Brosnans Sohn Dylan (22) setzt auf Drahtgestell.
Foto: APA/AFP/VALERIE MACON

Der Sinneswandel kommt nicht von ungefähr: Den Millennials sitzen die Fridays-for-Future-Kids im Nacken. Die fahren plötzlich klaglos mit dem Nachtzug nach Italien in den Urlaub, statt für fünf Tage nach Tulum zu fliegen, kaufen feste Shampoos ohne Kunststoffverpackung und beten ein ungeschminktes Mädchen mit zwei Zöpfen an.

Stella von Senger ist eine deutsche Influencerin. Sie modelt mit ihrem Mann für das österreichische Brillenlabel Andy Wolf.
Foto: Andy Wolf/ Elizaveta Porodina

Die Modeunternehmen haben auf die neue Innerlichkeit längst reagiert. Das österreichische Brillenlabel Andy Wolf zum Beispiel hat die deutsche Influencerin Stella von Senger gemeinsam mit ihrem Mann für eine Kampagne verpflichtet. Darin schauen die beiden so schön wie ernst durch ihre Gläser.

Und die neue Chanel-Designerin Virginie Viard hat für ihre erste Couture-Show im Pariser Grand Palais nicht nur beeindruckende Bücherwände aufbauen lassen, sondern auch elf Models Brillen aufgesetzt.

Brillen bei Chanel
Chanel
Charlotte Roche ist wieder da: Und mit ihr ihr eigenwilliger Modestil.

Auch Charlotte Roche, die in diesem Sommer in ihrem Podcast "Paardiologie" gemeinsam mit Ehemann Martin über Sex, Affären und ihre Beziehung sinniert, experimentiert auf Instagram gerne mit ihren Brillen herum. Ihre Botschaft, da wie dort: Einfach mal ausprobieren. Dieser Aufforderung kommen wir gerne nach. (Anne Feldkamp, 25.7.2019)