Manchmal gehen auch im ORF die Uhren anders. Seit 1. Juli ist Tom Matzek Chef der Hauptabteilung für Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschichte. Konkurrenzlos übernahm der langjährige ORF-Journalist ganz ohne das übliche Gerangel um Führungspositionen den Job, den er seit Jänner interimistisch leitete.

STANDARD: Sie waren offenbar der einzige Bewerber. Warum will keiner den Job?

Matzek: Kann ich nicht sagen. Ehrlich gesagt sehe ich nichts Schlimmes daran. Im Gegenteil, für mich ist es ein Traumjob. Sich in der Zeit von Fake-News mit wissenschaftlich abgesichertem Wissen zu beschäftigen ist super.

STANDARD: Vielleicht, weil vermutet wird, dass die Funktion zwei Ebenen unter Channelmanagern und Programmdirektorin wenig Gestaltungsfreiheit einräumt?

Matzek: Jeder, der mich kennt, kann sich seinen Reim darauf machen. Mein Konzept definiert sich über Themen und Inhalte. Dem geänderten Nutzungsverhalten entsprechend arbeiten wir inhaltsbezogen und bietet dem Publikum Packages an. Bei Universum History machen wir das schon die ganze Zeit – zum Beispiel mit Dokus, ZiB, Magazinen, Radio und dem feministischen Podcast Universum Her Story.

STANDARD: Also kein ausführender Beamter, der Wünsche von übergeordneten Stellen erfüllt?

Matzek: Ich sehe uns als multimediales Science-Department, das allen Plattformen und Kanälen kompetente Informationen zuliefert. Wir greifen die Themen der Zeit auf. Das ist mein Gestaltungswille, und da sehe ich viel Platz. Natürlich hat die Channelstruktur einen erhöhten Absprachebedarf, aber meine Erfahrung ist, dass sich die gute Sache letztendlich durchsetzt. Ich habe zu beiden Channelmanagern und auch zur Fernsehdirektorin ein professionelles Verhältnis und bin darum bemüht, die besten Geschichten für unser Publikum zu bringen.

STANDARD: Dabei müssen Sie aber mehr Wege einplanen als früher.

Matzek: Es sind mehr Wege als früher, aber ich persönlich finde diese Struktur spannend, weil wir über ein multimediales Themenmanagement näher beim Journalistischen sind. Wenn ich das als mühsam empfinden würde, hätte ich mich für den Job nicht bewerben dürfen.

Mit Beharrlichkeit kommt man zum Ziel: Die Schnecke in den "G'schichten vom Prater" aus der Reihe "Universum" kommenden Dienstag um 20.15 Uhr auf ORF 2.
Foto: ORF

STANDARD: Manche finden auch am Ersteigen des Mount Everest Gefallen.

Matzek: Ich bin absolut davon überzeugt, dass Qualitätsjournalismus einen Diskurs der Meinungen aushalten muss. Insofern rede ich gerne mit ganz vielen Leuten und versuche sie zu überzeugen, diesen Weg mitzugehen.

STANDARD: Apropos Umwege: Wussten Sie, dass hochauflösende Bildschirme der Umwelt maximal schaden wegen hohen CO2-Aufkommens?

Matzek: Der CO2-Fußabdruck ist ein massives Thema, das wir auf dem Radar haben.

STANDARD: Könnte sich das auf Produktionen auswirken? Naturdokus werden in 4K oder 8K gedreht. Ein Umweltgütesiegel erwirbt man sich da nicht.

Matzek: Wir wissen, wie stark belastend Internetnutzung ist oder das Blockchain-System. Ich mache mir allerdings keine Sorge um unsere Arbeit, weil wir gute und wichtige Geschichten immer machen werden, egal auf welchem Verbreitungsweg. Wenn wir draufkommen, dass wir in manchen Bereichen reduzieren müssen, wird man das tun. Mitte der 1980er-Jahre habe ich beschlossen, Autos zu verweigern und nur noch Fahrrad zu fahren. Ich war damals nicht alleine, aber gleichzeitig war am Markt der gegenteilige Effekt zu beobachten. Die Autoverkäufe von Prestigeautos nahmen zu. Schauen wir uns das heute an: Wie viele Menschen haben einen SUV? Ist das ökologisch vertretbar?

STANDARD: Wie gehen Sie mit diesen Grundsatzkonflikt um: in Naturdokus am Ende den moralischen Satz zu predigen und gleichzeitig zu wissen, dass man auf die Gewohnheiten seines Publikums damit wenig einwirken wird?

Matzek: Natürlich wollen wir einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten und sind auch dazu verpflichtet. Aber ich bin kein Anhänger einer Theorie, nach der wir etwas darbieten, und ein dankbares Publikum nimmt Inhalte auf. Eine Naturdoku allein im Sinne von schöne, heile Welt führt nicht dazu, dass sich ein Bewusstsein bildet. Da braucht es schon mehr, und das versuchen wir. Wir gehen in unterschiedliche Medien und Publikumsschichten.

STANDARD: Was steht auf Ihrer To-do-Liste für die nächsten fünf Jahre?

Matzek: Laut einer Studie haben Österreicher wenig Interesse an Wissenschaft. Wir wollen einem breiten Publikum Wissen in unterschiedlichen Formaten anbieten. Der Fokus liegt auf multimedialem Themenmanagement, und ich möchte, dass wir stärker als bisher österreichische Forschungsleistungen nicht nur in der aktuellen Berichterstattung spürbar machen, sondern auch in Dokumentationen.

Tom Matzek ist seit 1. Juli ORF-Wissenschaftschef.
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STANDARD: Sind neue Sendungen geplant, Universum Science zum Beispiel?

Matzek: Es gibt Überlegungen in Richtung Universum Science. Dafür müssten wir aber erst einen Sendeplatz finden.

STANDARD: Und das Geld. Wäre Newton Verhandlungsmasse für Universum Science?

Matzek: Ich halte an Newton fest. Das heißt nicht, dass man nicht in vielerlei Hinsicht etwas verbessern kann. Ich schätze das Redaktionsteam sehr, ich war selbst 2005 Projektleiter für die Konzeption von Newton. Es war als Magazin für 12 bis 29 geplant, in der Realität wurde es dann anders. Das ist die Problematik mit Infotainment. Ich sehe unsere Aufgabe darin, dass wir allen einen guten Wissenszugang vermitteln.

STANDARD: Newton online, und im Fernsehen eine Neuauflage von Modern Times?

Matzek: Ich weiß genau, dass jeder ruft: "Macht’s wieder Modern Times", und das hat schon etwas für sich. Wichtig ist, dass wir verschiedene Schichten erreichen. Wir denken in alle Richtungen. Die Budgetfrage stellt sich für mich, wenn wir eine gute Idee, ein realisierbares Konzept, einen passenden Sendeplatz haben.

STANDARD: Formate, die Sie im ORF gern sehen möchten?

Matzek: Ganz Neues sehe ich wenig. Wenn man Harald Lesch vom ZDF hernimmt, muss man fragen: Hat man so jemanden? Lesch funktioniert im ZDF, das heißt aber noch lange nicht, dass die Sendung auch im ORF gut funktionieren würde, weil viel von der Person abhängt, die so etwas präsentiert. Für mich ist auch ganz klar, dass das eine Frau machen sollte. Die grundsätzliche Frage stellt sich in einem anderen Zusammenhang: Was überlegen wir uns, was genau an einem möglichen Sendeplatz in den möglichen Audience-Flow in einen Channel passt? Das könnte etwas Einzigartiges sein, wo es kein Vorbild gibt.

STANDARD: Also doch wieder Modern Times?

Matzek: Vieles ist möglich. Ich glaube einfach, dass das Feld Bildung und Forschung einfach ein sehr spannendes ist. Das ist eine Herausforderung, bei der es sich lohnt, dranzubleiben. (Doris Priesching, 24.7.2019)