Brigitte Kronauer war Büchner-Preisträgerin 2005.

Foto: APA/dpa/Daniel Reinhardt

Mit einem Tag, der zuletzt doch nicht im Sande verlief begann 1969 das veröffentlichte Schaffen von Brigitte Kronauer. Schon in dieser Prosaskizze ist sehr genau zu erkennen, wohin sich der literarische Eigensinn dieser sofort großen Autorin entwickeln würde: eine Haltung impressionistischen Beobachtens schlägt ständig um in ein Spiel mit Sprache, mit dem Wirklichkeit niemals festgehalten, sondern immer erst recht wieder in Bewegung gesetzt wird. Die wenigen Seiten dieses beobachteten Tages gingen von einem rollenden Ball aus und führten zu einer Wasserspiegelbildszene, die das ganze Gegenteil einer narzisstischen Erfahrung ist. Zwischendurch heißt es einmal lapidar: "Überall war Luft."

Das wäre wohl nicht vielen Autoren eine Erwähnung wert. Für Brigitte Kronauer aber ist so eine Feststellung ganz grundlegend. Das unsichtbare Atemelement ist eine Antriebsquelle ihrer Prosa. Wenn es so etwas gäbe wie substanzielles Dampfplaudern, dann wären ihre Werke damit gar nicht schlecht beschrieben. Gedankenmusik hat ein Kollege im STANDARD das einmal pointiert genannt: ein Schreiben an der Grenze, an der Sprache aufhören darf, etwas genau bedeuten zu müssen, und die Freiheit gewinnt, poetischer Ausdruck zu sein.

Drei Schocks fürs Leben

Dass Brigitte Kronauer dennoch nicht Lyrikerin wurde, sondern zentral Romane (und drumherum viel wunderbar Reflexives und Essayistisches) schrieb, hat vielleicht auch mit diesem schon ganz zu Beginn erkennbaren Bedürfnis zu tun, Bögen zu spannen oder Gedanken und Beobachtungen in eine luftige Architektur zu bauen. In ihrer Jugend probierte sie durchaus Genres aus. Sie wurde 1940 in Essen geboren, und stand damit in der jungen Bundesrepublik ganz am Anfang der Generation, die von der Bildungsexpansion profitieren konnte.

In einer ihrer vielen poetologischen Reflexionen hat sie später einmal drei Sinneseindrücke aus der Kindheit als Ausgangspunkt für ihre Wahrnehmungsintensität benannt: sie ist drei Jahre alt, als sie im Wolfgangsee fast ertrinkt; der nächste Schock sind die Panzer der amerikanischen Befreier; schließlich gerät sie als Siebenjährige beinahe unter einen Lastwagen

Noch als Teenager schrieb sie Hörspiele. Sie ging dann erst einmal einen naheliegenden Weg, studierte Germanistik und wurde Lehrerin. 1974 zog sie nach Hamburg, wo sie – gemeinsam mit dem Kunstwissenschaftler und Pädagogen Armin Schreiber – seither lebte.

Weibliche Entsprechung zu Handke

An äußeren Ereignissen gibt es aus Brigitte Kronauers Leben danach nicht viel mehr zu berichten als die Erscheinungsdaten ihrer Bücher – und die Jahre ihrer großen Preise, darunter 2005 der Georg-Büchner-Preis und 2017 der Thomas-Mann-Preis. 1980 debütierte sie mit Frau Mühlenbeck im Gehäus in der Gattung Roman. Von 1983 bis 1990 folgte dann ihre große Trilogie mit Rita Münster, Berittener Bogenschütze und Die Frau in den Kissen. Wenn sie gelegentlich als weibliche Entsprechung zu Peter Handke genannt wird, dann müsste das dem Mann in dem Vergleich fast mehr schmeicheln als ihr.

Ihre Selbstauskünfte, darunter auch Wiener Ernst-Jandl-Vorlesungen aus dem Jahr 2011, zählen zum Größten, was man über und mit Literatur erfahren kann. Am Montag ist Brigitte Kronauer nach langer Krankheit 78-jährig gestorben.

Am 9. August erscheint im Verlag Klett-Cotta mit Das Schöne, Schäbige, Schwankende – Romangeschichten ihr letztes Buch. (Bert Rebhandl, 23.7.2019)