Das Netz macht sich lustig über ein Foto von Sebastian Kurz, das ihn auf einem kalifornischen Uni-Campus zeigt. Unter dem Arm trägt er eine Broschüre, in der laut Kennern die Botschaft steht, dass die von Kurz als neue Lösung verkündete Wasserstofftechnologie nicht zukunftsfit ist.

Okay, warum soll ein junger Ex-Kanzler nicht etwas lernen wollen. Bei Kurz hat man aber, wie bei so vielem, das Gefühl, dass dieses Lernen(wollen) inszeniert ist. Klar, andere Austropolitiker haben das auch so gemacht und ähnlich vermarktet. Aber im Gespräch mit Kurz hat man manchmal das Gefühl, es interessiert ihn nicht so sehr, wie etwas wirklich funktioniert.

Kurz wird wohl die Wahl gewinnen, vielleicht nicht so fulminant, wie es jetzt aussieht. Unterhalb dieser Ebene ist aber bei vielen Bürgerlichen in Entscheidungspositionen, die ihn seinerzeit als neue Kraft begrüßten, eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Das merkt man in Gesprächen mit solchen Entscheidungsträgern, aber auch an den jüngsten Texten bürgerlicher journalistischer Opinion-Leader.

Sebastian Kurz wird wohl die Wahl gewinnen.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Der ehemalige "Kurier"-Chefredakteur und -Herausgeber Helmut Brandstätter, enthüllte in einem Buch ("Kurz & Kickl – Ihr Spiel mit Macht und Hass"), dass Kurz den "Kurier" ziemlich massiv "auf Linie bringen" wollte.

Interventionssucht

Etliche Leser stellten im STANDARD-Forum übrigens die Frage, ob auch wir solche Erfahrungen gemacht haben. Nur so viel: Kurz wusste stets, dass er da keinen Hebel hat. Allerdings könnte man das geplante, vorläufig gescheiterte Gesetz über die Deklarationspflicht im Internet als Versuch werten, einen brutalen Hebel zu bekommen.

Interessant, wie jetzt auch andere renommierte bürgerliche Journalisten Kurz beurteilen. Der Chefredakteur der "Presse", Rainer Nowak, riet ihm im letzten Leitartikel, eine neue Koalition mit der FPÖ schlicht zu vergessen. Die sei nicht regierungsfähig.

Das konnten die Leser des STANDARD in dieser Kolumne und anderswo im Blatt eigentlich schon immer lesen, aber Chefredakteur Nowak hat hier bei seinen konservativen Lesern wohl Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Gut, dass er das macht.

Auf einer eher persönlichen Ebene beschreibt Hubert Patterer, Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", die Interventionssucht von Kurz: "Kurz ist das Gegenteil von unbekümmert und schmerzbefreit. Er will in jeder Sekunde wissen, wer ihn liebt und wer ihn ablehnt ('wieso mögt ihr mich nicht'). (...) Das hat mitunter Züge von Obsession. Schon die kleinsten Abweichungen vom Selbstbild lösen in ihm eine Unruhe aus. (...) das kann man autoritär nennen oder leicht unsouverän. Tendenziell neige ich Letzterem zu."

Man kann mit Sebastian Kurz durchaus offen reden. Aber man hat eben auch oft das Gefühl, dass er allzu viel – besonders im Hinblick auf die Natur der FPÖ – einfach wegwischt oder mit historischen Bezügen nicht viel anfangen kann. Er steht jetzt aber vor einer echten staatsmännischen Aufgabe, im Grunde seiner ersten: nach der Wahl eine Regierung zusammenzubringen, die a) hält und b) Österreich keine Schande macht. Das kann man allerdings nicht im Silicon Valley lernen. Da wird sich seine Substanz zeigen. (Hans Rauscher, 23.7.2019)