Trotz scheinbar weniger guter Werte bei den Umfrageseismografen könnten die Bedingungen für die Sozialdemokratie in Österreich nicht besser sein. Eine freiheitliche Partei, die sich selbst aus der Regierung katapultiert. Ein Altkanzler, der wieder von vorne beginnen muss und der sich trotz guter Imagewerte nicht sicher sein kann, dass die Wahl für ihn schon gewonnen ist. Mehr als zwei Monate sind  es noch bis zum 29. September, für alle Parteien eine endlos lange Zeit in der sehr sehr viel passieren kann. Unabhängig von der Tatsache, dass viele Buchmacher die Nationalratswahl und die Podiumsplätze für den Einlauf der Politzugpferde schon zu kennen vermögen, ist die Wahl vollkommen offen.

Führung unter falschen Vorzeichen

Die Chefin der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, hat es derzeit nicht leicht und hatte dies wahrscheinlich nie. Zu Anfang wurde sie, als erste Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, hoch gelobt und wie ein Messias gefeiert. Durch sie fühlte man sich fortschrittlich und seiner Zeit voraus. Sie würde die Jeanne d'Arc der SPÖ werden und die Bewegung und Österreich retten. Die Zeichen standen gut, denn sie hatte studiert, war eine Quereinsteigerin und hatte ihre Wurzeln in einer Familie, die den Parteimitgliedern zusagte. Allerdings täuscht man sich, wenn man glaubt, dass die männlichen Kollegen einer Bewegung, die für ihre Alpha-Männer bekannt ist, aus purer Nächstenliebe das Schlachtfeld geräumt haben, nur um einer Frau den Vortritt zu lassen. Latent erwartete man sich ganz eindeutig eines – und zwar Wählerstimmen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und sich gut vorstellen kann, dass insgeheim nicht nur ein Mandatar auf das Scheitern Rendi-Wagners gewartet hat. Und genau darin liegt die Krux der ganzen Geschichte. Das ist keine echte Aufbruchsstimmung und schon gar keine echte Unterstützung und auf diese Weise kann das Boot nur kentern.

Rendi-Wagner kämpft um Rückhalt in der eigenen Partei.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Solidarität sieht anders aus

Sobald bereits Außenstehende die Uneinigkeit der Partei spüren und sehen können, so kann das auch die Person an der Spitze. Die Gründe, weshalb man ursprünglich die Fähigkeiten einer weiblichen Person haben wollte, wenden sich jetzt gegen die gesamte Partei. Wenn man seine gesamte Intuition und seine gesamte strategische Fähigkeit dafür verwenden muss, um die Leute in der eigenen Partei bei Laune zu halten anstatt für Österreich, so bleibt für die Wähler nur mehr der traurige Rest, den man dieser Tage via TV ins Wohnzimmer ausgestrahlt bekommt. Wenn man sich vor jedem Niedersetzen akribisch selbst vergewissern muss, dass alle vier Stuhlbeine in Ordnung sind, führt dies dazu, dass man verunsichert wird und sich für andere verbiegt und auf diese Weise seiner eigentlichen Aufgabe kein Stück weit mehr nachkommen kann. Eines ist gewiss –  irgendjemand in der Partei will Rendi-Wagner metaphorisch brennen sehen und das sind nicht die Wähler, denen es so nach einer starken SPÖ dürstet. Was diese Leute aber vergessen ist, dass sie sich damit selbst in den Schwanz beißen und nicht nur sich sondern einer ganze Bewegung schaden.

Minderwertigkeitsgefühl in der Jahrhundertbewegung

Anscheinend leidet die gesamte Partei unter einem – frei nach dem Psychotherapeuten Alfred Adler – latenten sowie manifesten Gefühl der Minderwertigkeit. Eigentlich müsste die SPÖ, Umfragen hin oder her, so wie es die FPÖ stets machte, das “Duell um Österreich“ ausrufen. Stattdessen wird versucht auf einen sanft erscheinenden Wahlkampf zu setzen. Es geht für die Partei und Rendi-Wagner um alles oder nichts. Sieg oder Niederlage. Da hilft kein noch so professionell anmutendes Politmarketing mit der Hoffnung, dass die seriös wirkende Medizinerin am Ende vielleicht durch einen Wink in der Wählerwahrnehmung doch noch gewinnt. "Das Leben ist eine enorm dynamische Bewegung" formulierte es einst der Analyst der österreichischen Seele Erwin Ringel. Von dieser Dynamik ist aktuell wenig zu spüren auch wenn man auf ein mantraartiges “Immer rauf die Hände“ setzt. Vielleicht hat sich die SPÖ-Chefin durch den großen Muhammad Ali inspirieren lassen, der einmal treffend sagte: "Um ein großer Champion zu sein, musst du dran glauben, der Beste zu sein. Wenn du es nicht bist, tu wenigstens so." Dabei darf sie nicht außer Acht lassen, dass Charisma die Fähigkeit ist, selbst stark empfundene Gefühle ebenso bei anderen zu erzeugen. Das ist dann authentisch. Daher sollte man sich erst über die eigene Gefühlswelt im Klaren sein und nicht bloß eine vorgefertigte Strategie anwenden. (Daniel Witzeling, 29.7.2019)

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