Der sogenannte SMS-Daumen ist es, den Kinder heutzutage feinmotorisch zu Höchstleistungen bringen. Das Handgelenk hingegen schmerzt relativ schnell, wenn Handschrift ungewohnt ist. Vor allem ältere Kinder haben mit dem Schreiben in der Schule immer mehr Probleme – auch weil viel am Computer getippt wird. Dennoch gibt es einen neuen Trend, der mit Handschrift zu tun hat: Unter dem Hashtag "Lettering" finden sich auf Instagram über zwölf Millionen Beiträge, und auch Kalligrafie findet in Workshops guten Anklang.

Erfahrungen damit hat die Wiener Designerin und Kalligrafin Claudia Dzengel gemacht, die Schrift- und Kalligrafie-Workshops für Kinder und Erwachsene veranstaltet. Auf spielerische Weise vermittelt die Künstlerin das Thema Schrift aus unterschiedlichen Zeitepochen bis hin zum handgezeichneten modernen Alphabet. Damit will sie dem persönlichen sprachlichen Ausdruck wieder mehr Tiefe geben. "Viele Lehrer, mit denen ich arbeite, sagen, dass sie die Schrift ihrer Schüler nicht mehr lesen können", so Dzengel. Zu ihr kommen Lehrer für Deutsch, Bildnerische Erziehung und auch Geschichte. Der Künstlerin, die manchmal auch Kinder erlebt, die einen Stift nicht richtig halten können, ist wichtig, dass sie die Freude am Schreiben wiederentdecken.

Kalligrafie von Claudia Dzengel, die aussieht wie ein Wollknäuel.
Foto: Claudia Dzengel

Eine Sache der Übung

"Der Rhythmus macht den individuellen Ausdruck beim Schreiben mit der Hand aus. Es nützt wenig, an einzelnen Buchstaben zu üben", so Dzengel. Zu Beginn lässt sie ihre Schüler daher nur Elemente von Buchstaben schreiben, bis ihnen das flüssig von der Hand geht. So wird auch die Feinmotorik wieder gestärkt, die vielen Kindern abhandengekommen ist. "Das feinmotorische Schreiben ist wie die Fähigkeit des Zeichnens eine Sache der Begabung und des Übens. Ich habe schon den Eindruck, dass diese Fähigkeit viel weniger als früher geübt wird", sagt die Wiener Kunsterzieherin Aurelia Roher. Laut einer Umfrage des Deutschen Lehrerverbands und des Schreibmotorik-Instituts Heroldsberg meinen vier Fünftel der an der Erhebung beteiligten Lehrerinnen und Lehrer an weiterführenden Schulen, dass sich die Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler im Schnitt verschlechtert hat.

"Die Kalligrafie, die zurzeit einen Boom erlebt, als Teil meines Kunstunterrichts ist sehr gewinnbringend für das Verständnis meiner Klasse für ihr eigenes Schreiben. Als ein Ausdruck von Individualität und Persönlichkeit", so die Lehrerin für bildende Kunst am Gymnasium Wasagasse in Wien. Gemeinsam mit Dzengel arbeitet sie daran, den jungen Menschen Schrift wieder näherzubringen.

Gerade im Alter zwischen 13 und 15 biete die Auseinandersetzung mit Schrift eine Möglichkeit, die eigene Handschrift zu beurteilen und zu gestalten, zu entwickeln – als eine Übung, sich selbst auszudrücken, sich seiner bewusst zu werden. "Das Schreiben alter Schriften übt die Konzentrationsfähigkeit, das Sich-Einlassen, das Bei-sich-Sein, was unseren Kindern heute oft sehr schwerfällt", so Roher.

Originalbilder von Claudia Dzengel, die bei einer Ausstellung im Bildraum 01 in Wien gezeigt wurden.
Foto: Claudia Dzengel

Dekorierte Buchstaben

Die Schülerinnen und Schüler lernen mit Kalligrafie und Lettering nebenbei auch, coole Einladungen und Logos zu gestalten. Die Verbindung von Schrift und Bild lässt sich also auch im Alltag anwenden. Lettering etwa ist das Zeichnen von Buchstaben, um sie danach zu dekorieren. Besonders beliebt sei derzeit das Schreiben mit Brush-Pens, so Dzengel. Mit klassischem Schönschreiben, wie es früher unterrichtet und von einigen auch gefürchtet wurde, hat das alles nichts zu tun.

"Ich merke bei manchen Teenagern eine regelrechte Sehnsucht nach dem Schreiben", sagt Dzengel. Entdeckt ein junger Mensch seine Leidenschaft für die von Hand geschriebenen Buchstaben, halten sich die Materialkosten übrigens relativ im Rahmen, denn auch Strohhalme, Zahnbürsten, Fineliner, Stöcke aus dem Park oder Federn eignen sich als Schreibwerkzeuge. (Marietta Adenberger, 4.8.2019)

Foto: Claudia Dzengel