Benedetto Bufalino lässt das Auto in der Open-Air-Ausstellung "Les Extatiques" in Paris kopfstehen. Gar nicht weit von der Realität entfernt.

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Die Autobranche steht vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Der Diesel ist in der Gunst der Konsumenten immer mehr abgeschlagen, E-Autos sind vielen noch zu teuer oder zu wenig alltagstauglich. Dazu kommen Entwicklungen wie autonomes Fahren, das in Ansätzen bereits in der Praxis zu testen ist, und der Umstand, dass die fahrbaren Untersätze immer mehr zum Computer auf vier Rädern werden.

Schrumpfender Markt

Gewaltige Umstellungen, mit denen die Hersteller immer mehr zu kämpfen haben, denn zu all den Unsicherheiten in Sachen Zukunft der Mobilität kommt ein schrumpfender Markt. Experten erwarten, dass der globale Pkw-Absatz im heurigen Gesamtjahr um fünf Prozent sinkt. Eine giftige Mischung für die Branche, die ohne enorme Investitionen in Zukunftstechnologien Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren – denn neue Konkurrenten im Bereich E-Mobilität, Mobilitätsdienstleister und Digitalwelt drängen mit aller Macht auf den Markt.

Bereits im ersten Quartal gingen die Absatzzahlen der 18 globalen Autobauer im Durchschnitt um 5,5 Prozent auf 19,1 Millionen Pkws zurück, errechnet der deutsche Experte Stefan Bratzel in einer Analyse. Nur wenige Hersteller wie Toyota, Hyundai, BMW oder Tesla können sich dem Negativtrend entziehen, so Bratzel. Volkswagen, General Motors oder Ford kämpfen mit zum Teil hohen Absatzeinbrüchen. Im zweiten Quartal verstärkt sich demnach der Trend: Die Pkw-Produktion in Deutschland sank etwa zwischen April und Juni um 13,4 Prozent nach einem Minus von zehn Prozent in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres. Und das mit einem Einbruch von knapp zehn Prozent im Jahr davor.

Drohendes Ungemach

Mit einer schnellen Trendwende rechnet Bratzel nicht – ungelöste Handelskonflikte und der bevorstehende Brexit können die Lage jederzeit verschärfen. In den Bilanzen der Hersteller hinterlassen die aktuellen Entwicklungen immer tiefere Spuren. Bei manchen kommen Altlasten wie etwa der Dieselskandal oder spezielle Probleme mit Bauteilen dazu. Der neue Daimler-Chef Ola Källenius etwa startet mit einem schweren Rucksack durch. Milliardenrisiken im Dieselskandal, Probleme mit Airbags, Lieferschwierigkeiten und der schwächelnde Markt brockten dem Konzern einen Nettoverlust von 1,2 Milliarden Euro ein. Den letzten Quartalsverlust verbuchte Daimler vor zehn Jahren in Zeiten der Finanzkrise. Källenius, der im Mai Dieter Zetsche als Chefpilot abgelöst hat, musste die Jahresziele schon zweimal nach unten korrigieren. Jetzt will der Schwede den Gürtel noch enger schnallen.

Doch nicht nur Daimler legt eine Vollbremsung hin. Auch den japanischen Autobauer und Renault-Partner Nissan erwischen die Entwicklungen auf dem falschen Fuß. Der zweitgrößte Autobauer Japans nach Toyota ist auch durch den Finanzskandal um Ex-Chef Carlos Ghosn stark unter Druck. Der Konzern hat erst im Mai seine Gewinn- und Umsatzziele für das laufende Jahr kassiert. Experten rechnen mit dem schwächsten Quartal seit mehr als zehn Jahren – 64 Prozent Gewinneinbruch liegen in der Luft. Für Mitarbeiter außerhalb Japans bedeutet das eine drohende Verschärfung des Sparprogramms. 10.000 Stellen dürften wackeln.

Bessere Nachrichten gibt es just für Opel. Zwei Jahre nach der Übernahme durch Peugeot-Hersteller PSA geht es aus Sicht von Opel-Chef Michael Lohscheller bergauf. "Unser Comeback ist gut gelungen. Wir wachsen profitabel und nachhaltig", sagte er in Rüsselsheim. Opel trug im ersten Halbjahr mit rund 700 Millionen Euro zum Betriebsergebnis der Mutter bei, ein Plus von 40 Prozent im Vorjahresvergleich. Dies auch dank Synergieeffekten, die aber an Standorten wie Wien Jobs kosten. PSA-Chef Carlos Tavares streut der Tochter Rosen: Opel sei rentabler geworden.

Harte Zeiten

Experte Bratzel stellt die Branche auf harte Zeiten ein. Renditen und Gewinne bei den meisten Herstellern würden sich in den nächsten Jahren auf niedrigerem Niveau einpendeln. Noch düsterer sieht das Kollege Ferdinand Dudenhöffer gegenüber der Deutschen Presseagentur: "Die nächsten fünf bis zehn Jahre werden die schwerste Zeit seit der Erfindung des Autos werden. Entweder man fusioniert oder kooperiert, oder man verlässt den Automarkt." (Regina Bruckner, 24.7.2019)