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Martin Selmayr (48) zieht im Herbst nach Wien.


REUTERS/Francois Lenoir

Bis Ende des Monats kann Martin Selmayr beruflich noch einmal so richtig aus dem Vollen schöpfen. Das heißt beim 48-jährigen Deutschen, verheiratet, keine Kinder, seit Jahren zweierlei: Arbeiten von der Früh bis spät in die Nacht. Vor allem aber liebt der promovierte Jurist den Kick, in Europas Politik auf höchsten Ebenen mitzumischen, den Mitarbeitern Druck und Vorgaben zu machen, Macht zu demonstrieren – und das alles so richtig zu genießen und es zu zeigen.

Selmayr ist Generalsekretär der Europäischen Kommission, der direkte Vorgesetzte von 30.000 Beamten, höchste Besoldungsstufe. Wichtiger sind in der streng hierarchischen Ordnung nur die 28 politisch gewählten Kommissare unter der Führung von Präsident Jean-Claude Juncker. Dessen Vertrauter war Selmayr spätestens seit Frühjahr 2014, nachdem er ihn zuerst zum Wahlkampfleiter, dann zum Kabinettschef gemacht hatte. Dort werkte Selmayr als Strippenzieher – zunehmend umstritten, weil er selbst Kommissaren über den Mund fuhr und vor Intrigen nicht zurückschreckte.

Steile Karriere

Aber der Präsident ließ ihn gewähren. Bei Freund und Feind unbestritten waren Qualifikation und Leistungsfähigkeit. Schon als Student war er einer der Besten, schrieb in Passau eine Dissertation zum Euro, studierte in Genf, München und Berkeley, heuerte bei der Bertelsmann-Stiftung in Brüssel an, fand Anschluss bei einflussreichen EVP-Politikern, wurde Sprecher von EU-Kommissarin Viviane Reding: ein perfekter Netzwerker. "Mein Monster" nannte Juncker seinen arbeitswütigen Manager einmal. Im Frühjahr 2018 beförderte er ihn in einem umstrittenen Ernennungsverfahren zum Generalsekretär, vom Parlament gerügt, weil Regeln gebogen wurden.

Ab 1. August wird es mit der Sonderstellung für den in Bonn geborenen Sohn eines Professors an der Universität der Bundeswehr vorbei sein. Selmayr wird Juncker dann nur noch "in wichtigen strategischen Fragen beraten", wie es Mittwoch offiziell hieß. Ab 1. November tritt er sein neues Amt "als Leiter der Vertretung in Österreich" an. Dort arbeiten 22 Mitarbeiter unter der ruhigen Führung des EU-Botschafters Jörg Wojahn, der in die Vertretung nach Berlin weiterzieht.

In den Couloirs der Kommission rätselt man, wie das zu erklären sei. EU-Botschafter in Washington oder London, ja. Aber Wien? Klar war, dass Ursula von der Leyen einen neuen Generalsekretär wird suchen müssen. Zwei Deutsche an der Spitze, das wäre zu viel gewesen. (Thomas Mayer, 24.7.2019)