P!nk verbiegt mit reiner Gedankenkraft im Wiener Happel-Stadion Straßenlaternen.

Foto: APA/Hans Punz

Es beginnt spät, aber immerhin beginnt es endlich. Nach endlosem, bis zum Dunkelwerden anhaltenden Vorgeplänkel von einem mit akustischer Gitarre bewaffneten Schihütten-Entertainer namens Vance Joy, der uns unter anderem mit einer Coverversion von Lionel Richies "All Night Long" sedierte, war es noch keinesfalls so weit.

Vorher beglückte uns noch ein an Aufmerksamkeitsstörung leidender DJ mit dem originellen Kampfnamen KidCutUp. Der spulte in nur einer halben Stunde das gesamte Wochenprogramm von Radio Wien in jeweils einminütigen Häppchen zum Mitpaschen ab. Von A wie Queen und "We Will Rock You" über Gütiger Gott wie "Major Tom" (Völlig losgelöst) und Peter "Ich rechne noch in Schilling" bis zu Z wie Nena und "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann" blieb kein Auge trocken.

Lass die Party beginnen

Dementsprechend musste dann P!nk nach 21 Uhr nach guter amerikanischer Showsitte mit einem Paukenschlag beginnen. "Get The Party Started", das berühmte Lied, das weitgehend ohne Akkordwechsel auskommt, dafür aber im angezogenen Viervierteltakt mächtig gegen die hinteren Publikumsreihen schiebt, wird von P!nk oben auf einem Luster über der Bühne hängend gesungen.

Seit Helene Fischer vor ein paar Jahren für ihre Stadionshows gemeinsam mit Akrobaten aus dem Cirque du Soleil die Schwerkraft mit endlosen Flugshows und atemberaubenden Choreografien und neckischen Paartänzen auf dem Seil, in Liebesschaukeln oder eben auf Lustern erfolgreich bekämpfen konnte, scheint sich das bei Großkonzerten zum Trendsport zu entwickeln.

Flugshow und Jazztanz

Den Ritt auf der Abrissbirne kennen wir ja noch von AC/DC oder Miley Cyrus (für die jüngeren, aber auch schon etwas rüstigeren Leser). Auch Gene Simmons von Kiss ist früher über das Publikum geflogen, solange halt das Kreuz mitgemacht hat. Gleichzeitig in einem Stadion über gut 55.000 Besuchern hin und her fliegen, dabei Salti schlagen und auch noch in den Refrains wiedererkennbar singen, das ist für Popstars aber ein relativ neues Anforderungsprofil. Wobei P!nk diesbezüglich seit den Nullerjahren als Veteranin dieser ins absurde gesteigerten Form des guten alten Stagedivings gilt, was 2010 auch zu einem schweren Unfall auf der Bühne führte.

Parallel dazu wird unten auf dem Boden mächtig viel ausdrucksgetanzt. P!nk hat einige ihrer besten Freunde und Freundinnen aus dem Jazztanz-Workshop für Fortgeschrittene mitgebracht. Die können nicht nur den Jitterbug ordnungsgemäß absolvieren. Auch wenn es um das Spezialfach sterbender Schwan oder erotische Spielfilmszenen mit Handlung und mysteriösen Masken geht, ist das Team von P!nk bestens aufgestellt. Dazwischen geht es dann wieder auf den Luster, die Seile und die Liebesschaukel.

P!nk wirkt dabei nicht nur extrem fit, sondern auch extrem sympathisch und trotz der endlosen Kostümwechsel weitgehend frei von Allüren. Sie bedankt sich auch recht schön für einen rosa Büstenhalter und diverse Stofftiere, die auf die Bühne geflogen kommen. Allerdings hat diese bodenständige Madonna der Arbeiterklasse trotz kräftiger Stimme und wuchtig immer auf die Zwölf gehender Begleitband ein kleines Manko.

David-Beckham-Gedächtnisschopf

Abgesehen vom Lied mit der Party, dem wirklich netten Blockbuster "Just Like A Pill", "Funhouse", "Just Give Me A Reason" oder "So What" bleibt nicht wirklich etwas hängen. Für Formatradioverhältnisse rockt das allerdings mitunter mehr als Bon Jovi eine Woche zuvor an selber Stelle. Manchmal wird vom vorschriftsmäßig tätowierten Gitarristen gar eine Punkgitarre gedroschen. Ansonsten vertraut P!nk live in Wien auf die Technik der Überwältigung. Genug ist nicht genug. Mehr ist mehr. Schnell gesehen, schön geschossen. Und weg. Davor durfte noch die achtjährige Tochter Willow zum Radschlagen auf die Bühne. Das Lied, das wirklich in Erinnerung bleibt, war leider eine akustische Einlage von Cyndi Laupers "Time After Time". Allerdings scheint die 39-jährige Alecia Moore frisurentechnisch mit blondiertem David-Beckham-Gedächtnisschopf und Undercut doch eine gewisse Macht über viele Frauen im Publikum auszuüben.

Am Ende fliegt P!nk völlig losgelöst von der Erde über das Stadion. Weil sie es kann: "So, so what?/ I'm still a rock star/ I got my rock moves/ And I don't need you/ And guess what/ I'm having more fun/ And now that we're done/ I'm gonna show you tonight/ I'm alright, I'm just fine/ And you're a tool/ So, so what?" (Christian Schachinger, 25.7.2019)