Die Flagge des Elsass weht in Straßburg.
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Frankreich ist ein zentralistischer Staat, in dem alle Wege, TGV-Strecken und Autobahnstränge nach Paris führen. An der Seine konzentriert sich eine sehr straffe, pyramidal angelegte Machtstruktur mit Präsident, Hauptstadt-Elite und Funktionären. Sie alle sind Jakobiner – Anhänger des republikanischen Zentralstaates. In ihrem Denken gibt es keinen Platz für regionalpolitische Forderungen der Bretonen, Korsen oder französischen Basken. Und schon gar nicht für die 1,9 Millionen Elsässer mit ihrem alemannischen Dialekt.

Paris hat stets versucht, das 8.000 Quadratkilometer große Gebiet von Elsass zu zerstückeln oder aufzulösen. Früh schon wurde es in die zwei Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin (Hochrhein und Niederrhein) geteilt. Aber auch das genügte noch nicht, um "regionalistische Anwandlungen" – so der Pariser Sprachgebrauch – zu ersticken. 2015 löste der damalige Präsident François Hollande das historisch gewachsene Gebiet mit einem Federstrich auf: Das Elsass ging in einer neu gebildeten Superregion namens "Grand Est" (Großer Osten) auf, zusammen mit Lothringen, der Champagne und den Ardennen.

Das war zu viel für die moderaten Elsässer: Bei mehreren Demos in Straßburg und anderswo gingen in der Folge Zehntausende auf die Straße, um für ihre regionale Einheit und Identität einzutreten. In Umfragen sprachen sich 83 Prozent gegen die Zugehörigkeit zum "Grand Est" aus.

Kompromiss mit dem Elsass

Dieser regionale "Widerstand" drang bis ins ferne Paris vor. Präsident Emmanuel Macron musste sich auf Verhandlungen eingelassen, um den Zorn der Elsässer zu beschwichtigen.

Jetzt wurde ein Kompromiss abgesegnet: Nach dem Senat, dem französischen Oberhaus, hat die Nationalversammlung am Donnerstag in letzter Lesung der Bildung – genauer: Neubildung – eines elsässischen Einheitsgremiums zugestimmt. Es entsteht am 1. Jänner 2021 und erhält den an sich unnötigen Zusatz "europäisch", heißt es doch "Collectivité européenne d’Alsace".

Das Ringen war sehr grundsätzlich und hitzig, wie einige Episoden während der Parlamentsdebatte zeigten. Einmal wandten sich Abgeordnete des Départements Bas-Rhin auf Elsässisch an regionale Parlamentskollegen; ein anderes Mal stimmte Thierry Michels gar das Volkslied "D’r Hans im Schnokeloch" an.

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Den sehr jakobinischen Abgeordneten Bastien Lachaud der Linkspartei "Das unbeugsame Frankreich" hielt es darauf nicht mehr auf seinem Platz: "Sie zerstören die Republik!", rief er den Elsässern entgegen. Sein Parteikollege Ugo Bernalicis warnte am Donnerstag, dass nach den Elsässern bald die Nordfranzosen ein eigenes Autonomiebegehren stellen würden. Einen Sonderantrag, in die Regionalreform auch den Begriff "elsässisches Volk" aufzunehmen, wies die Ratsmehrheit darauf zurück. Das neue Elsass-Statut wurde aber klar angenommen.

Keine Revolution

Inhaltlich stellt es keine föderalistische Revolution dar. Denn neben der "europäischen Körperschaft Elsass" existieren die beiden Départements Hoch- und Niederrhein weiterhin. Die Pariser Zentralgewalt wahrt damit mehr als nur die administrative Form.

Zugleich schafft das neue Elsass-Gremium aber beträchtliche Lokalkompetenzen. So wird es für die Nationalstraßen auf seinem Gebiet zuständig. Auf der oft verstopften Autobahn A35 plant es bereits eine Schwerverkehrsabgabe. Zuständig werden die Elsässer auch für den Tourismus.

Ferner können die Elsässer in Zukunft "einen fakultativen Sprach- und Regionalkultur-Unterricht" vermitteln. Laut Gesetzestext gilt dieser für die "ganze Schulzeit", also im Unterschied zu den heutigen Privatschulen nicht nur für die Primarschule. Zu diesem Zweck kann das Elsass auch zweisprachige Lehrer anheuern.

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Die Europabrücke über den Rhein zwischen Straßburg und Kehl verbindet Frankreich mit Deutschland.
Foto: dpa / Patrick Seeger

Wirtschaftlich wichtig ist die neue Kompetenz des "Europagebiets Elsass", um mit den Nachbarn Basel und Baden-Württemberg grenzüberschreitende Absprachen eingehen zu können. An die Stelle des womöglich schon bald stillgelegten Atomkraftwerks Fessenheim am Rheinufer will die Region eine Forschungs- und Entwicklungszone errichten. Das Elsass schafft zudem ein "Strategiekomitee für den Unterricht der deutschen Sprache im Elsass".

Le Pen sieht "deutsche Vormundschaft"

Diesem Beschluss entspricht das Bemühen der Rhein-Nachbarn Baden-Württemberg (Deutschland) und Basel (Schweiz), ihren Schülern ihrerseits mehr Französisch zu vermitteln. Die Präsidentin des Départements Hoch-Rhein, Brigitte Klinkert, erklärte während der Parlamentsdebatte in Paris das Fernziel, dass die jungen Elsässer richtig Deutsch lernen, ja "zweisprachig" aufwachsen sollen.

Dieser zusätzliche Deutschunterricht sorgt weit über das Elsass hinaus für Diskussionen, was angesichts der deutschen Vergangenheit der Region nicht ganz verwundern kann. Am vehementesten und mit ihrer üblichen Übertreibung reagierte die Rechtsextremistin Marine Le Pen: Sie schimpfte schon, das Elsass gelange "unter deutsche Vormundschaft".

Der Vorwurf ist lächerlich. Sogar Klinkerts Aussage, die neue Region bedeute die "Wiedergeburt eines politischen Elsass", wird von Föderalisten infrage gestellt. Sogar die gemäßigte Elsässer-Partei "Unser Land" meint, das neue Statut sei nur "viel Lärm um nichts". Was sicherlich auch unzutreffend ist, wenn man die sprachpolitischen Konzessionen des französischen Zentralstaates in Rechnung stellt. (Stefan Brändle aus Paris, 25.7.2019)