Die Elektronen-Kristallographie bietet aufgrund der viel stärkeren Wechselwirkung von Elektronen mit Materie neue Möglichkeiten. Werden submikrometergroße Kristalle mit Elektronen bestrahlt, liefern sie typische Beugungsbilder. Die Muster, wie die Strahlen von den regelmäßig angeordneten Molekülen im Kristallgitter abgelenkt werden, lassen rechnerisch auf die atomare Struktur der Moleküle rückschließen.

Illustr.: Tim Grüne

Mithilfe von Elektronenstrahlen untersuchen Forscher die Struktur winzigster Kristalle – allerdings lassen sich diese Objekte nicht einfach hin- und herdrehen, um sie rundum zu betrachten. Wiener Chemiker haben nun Lösungen für dieses Problem gefunden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Nature Communications" veröffentlicht.

Im Vergleich zur herkömmlichen Röntgenstrahlen-Strukturanalyse, die bestenfalls 50 bis 100 Mikrometer kleine Kristalle erfassen kann, sind mit Elektronenstrahlen sogar Kleinstkristalle unter einem Mikrometer Kantenlänge untersuchbar, schreiben die Forscher um Tim Grüne vom Institut für Anorganische Chemie der Universität Wien. Allerdings ist man dabei vom Betrachtungswinkel her eingeschränkt. Man könne die Probenhalter nicht in alle Richtungen drehen und die Metallstangen, die ihn bewegen, verdecken teils die Sicht.

Fäden und Mikadostäbchen

Die Wissenschafter entwickelten deshalb zwei Methoden, um nicht einen Kristall rundherum, sondern viele willkürlich angeordnete Kristalle gleichzeitig zu inspizieren. Einerseits rauten sie die Träger-Schicht aus Karbon mit einem feinen Pinsel an. Dadurch stellten sich einzelne Karbonfäden samt den zu untersuchenden Kristallen auf und präsentierten diese von allen Seiten. Zweitens streuten sie auf den Probeträger Nylonfäden aus, die dort dann wie Mikadostäbchen kreuz und quer liegen. "Wird die so präparierte Trägerschicht anschließend mit den Kristallen bestäubt, bleiben sie in verschiedenen Positionen an den Nylonfäden hängen", so Grüne.

So präsentierten sich die Mikro-Kristalle aus verschiedensten Ansichtswinkeln. Um ein dreidimensionales Bild von ihnen zu erhalten, werden die Datensätze zusammengesetzt und der Computer berechnet ein "Gesamtbild" eines einzelnen Kristalls. In der Regel sind fünf unterschiedliche Ansichten ausreichend, so die Chemiker. "Wir haben das Problem nicht gelöst, aber zeigen hier Möglichkeiten auf, die verborgenen Seiten der Kristalle im Rahmen der Elektronenkristallographie dennoch aufzudecken. Es sind überraschend einfache Lösungen, die technisch gut umsetzbar sind", so Grüne. (red, APA, 28.7.2019)