Die Europäische Zentralbank zeigt wegen der schlechten Konjunkturaussichten Bereitschaft, Zinsen weiter zu senken.

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Für Mario Draghi endet seine Amtszeit als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) wohl so, wie sie vor acht Jahren begonnen hat: mit sinkenden Zinsen. Zwar ließen die Währungshüter die Zinssätze am Donnerstag unverändert, also den Leitzins bei null Prozent und den Einlagensatz für Banken bei minus 0,4 Prozent, allerdings stieß Draghi die Türe für eine Senkung im September weit auf.

Im Gegensatz zu zuvor halten die Währungshüter in ihrem aktuellen Ausblick nun bis Mitte 2020 auch die Möglichkeit eines Absenkens ihrer Zinssätze für möglich. Die meisten Volkswirte und Analysten interpretieren diese verbale Kursänderung als Vorbote eines Zinsschritts im September. Die Experten von Raiffeisen Research erwarten etwa, dass die EZB dann den Einlagensatz für Banken um 0,2 Prozentpunkte auf minus 0,6 Prozent absenken wird.

Gestaffelter Einlagensatz

Zudem prüft die Zentralbank nun ein Staffelsystem für den Einlagensatz, um die Folgen der jahrelangen Strafzinsen für kleinere Finanzinstitute abzumildern. Ebenso steht eine Neuauflage eines Anleihenkaufprogramms im Raum. Von März 2015 bis 2018 erwarb die EZB bisher Schuldverschreibungen im Wert von 2,65 Billionen Euro, um die Zinsen auch bei mittleren und langen Laufzeiten zu drücken.

Mit extrem tiefen bzw. negativen Zinssätzen versucht die EZB seit Jahren ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent zu erreichen – bisher vergeblich: Im Juni lag die Teuerung in der Eurozone bei bloß 1,3 Prozent.

Schon im Vorfeld der Zinsentscheidung waren dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufgezogen. Am Donnerstagmorgen stürzte etwa der bedeutende deutsche Ifo-Geschäftsklimaindex im Juli auf den niedrigsten Stand seit April 2013. Ein nachlassendes Wirtschaftswachstum schlägt üblicherweise dämpfend auf die Inflation durch.

Staaten als Nutznießer

Nutznießer der extrem expansiven Geldpolitik der EZB sind in erster Linie die Staaten der Eurozone, die sich extrem günstig verschulden können. So liegt die Rendite deutscher Bundesanleihen, gewissermaßen der Klassenprimus unter den als risikolos geltenden staatlichen Schuldverschreibungen, bei minus 0,41 Prozent. Was bedeutet, dass Gläubiger dafür bezahlen, dass sie dem deutschen Staat Geld leihen. Auch andere Länder kommen in den Genuss von Negativzinsen, darunter auch Österreich. Warum lassen sich Investoren auf dieses offensichtlich schlechte Geschäft ein? Mangels ebenso sicherer Alternativen zu deutschen oder österreichischen Staatsanleihen.

Schwer getroffen sind freilich auch Sparer von dieser Entwicklung. Das klassische Sparbuch, trotz jahrelanger Zinsflaute noch immer beliebtestes Anlageprodukt der Österreicher, wird auch in den kommenden Jahren de facto kaum oder keine Zinsen abwerfen. Einziges Trostpflaster: Der Hoffnung der Banken, die Negativzinsen auch auf Sparguthaben abzuwälzen, hat hierzulande der Oberste Gerichtshof längst einen Riegel vorgeschoben.

Strauchelnde Vorsorge

Aber auch die kapitalgedeckte Vorsorge kommt durch die anhaltende Zinsflaute ins Straucheln. Ohne sichere Zinserträge können nur Aktien oder riskantere Hochzinsanleihen nennenswerte Erträge bringen. Bei riskanten Anlagen sind aber Verluste möglich. Die Folge: Ältere Pensionskassenverträge beinhalten oft hohe Ertragserwartungen – bei Nichterfüllung könnten Pensionsbeziehern weitere Kürzungen ins Haus stehen.

Ungünstig ist die Entwicklung auch für die Ende des ersten Quartals ausstehenden 14,5 Milliarden Euro an Fremdwährungskrediten, die fast gänzlich auf Schweizer Franken lauten: Dieser ist gegenüber dem Euro auf das höchste Niveau seit zwei Jahren geklettert, womit sich für Kreditnehmer auch die in Euro umgerechnete Restschuld empfindlich erhöht hat.

Es schaut also so aus, als würde der EZB-Chef knapp nach einer Zinssenkung sein Amt Ende Oktober an Christine Lagarde, Ex-Chefin des Währungsfonds, übergeben. Zinserhöhungen sind unter Draghi übrigens ausgeblieben. (Alexander Hahn, 25.7.2019)