Erst am Mittwoch haben Forscher wieder einmal eindrucksvoll untermauert, was in der Wissenschaftscommunity seit langem Konsens ist: Der Klimawandel wird vom Menschen verursacht. Wie in zwei Studien im Fachblatt "Nature Geoscience" anhand umfangreicher historischer Daten gezeigt werden konnte, hat sich das Klima in den vergangenen 2.000 Jahren noch nie so schnell und in globalem Ausmaß verändert wie heute. Das häufig vorgebrachte Argument gegen Maßnahmen für den Klimaschutz, vergleichbare Warm- und Kaltzeiten habe es doch immer gegeben, greift nicht.

Die zunehmende Eisschmelze an den Polen hat komplexe und weitreichende Folgen für den Planeten – auch wenn es nicht alle glauben wollen.
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Dominante Verschwörungstheoretiker

So wissenschaftlich unumstritten die Erderwärmung und ihre Ursachen auch sind: Viele Menschen zweifeln trotzdem daran. Wie verbreitet Desinformationen in Bezug auf das Thema auf dem größten Videoportal der Welt sind, hat nun Joachim Allgaier von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen untersucht. Das erschreckende Ergebnis: Verschwörungstheoretiker und Pseudowissenschafter dominieren die Suchergebnisse auf Youtube zum Thema Klimaforschung.

Für die Studie im Fachblatt "Frontiers in Communications" hat Allgaier untersucht, welche Videos Youtube ausspielt, wenn man Suchanfragen rund um Klimawandel und technologische Gegenmaßnahmen wie Geoengineering eingibt. Die wissenschaftliche Qualität von Youtube-Videos über die Klimaforschung war auch schon Gegenstand früherer Studien, sagte Allgaier zum STANDARD. "Dabei wurde aber auf die Inhalte der meistgesehenen Videos fokussiert. Das sagt uns aber nicht, was der durchschnittliche Internetuser so findet, da die Suchergebnisse von Daten zu früheren Suchanfragen und angesehenen Videos beeinflusst werden."

Kondensstreifen am Himmel über Köln. In erschreckend vielen Youtube-Beiträgen wird Angst vor "Chemtrails" geschürt.
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Leugner, Zweifler, Truther

Um den Algorithmus der Videoplattform zu umgehen, verwendete der Forscher das Anonymisierungsnetzwerk Tor. Konkret suchte er nach zehn Begriffen rund um Klimaforschung, Klimawandel und Geoengineering. Unter diesem Schlagwort werden mögliche Technologien zusammengefasst, mit denen sich das Erdklima vorsätzlich beeinflussen lassen könnte. Der Einsatz solcher Methoden als Notbremse gegen die Erderwärmung wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert.

Zu jedem Begriff analysierte Allgaier die ersten 20 Videos, die angezeigt wurden, insgesamt also 200. Das Resultat: Mehr als die Hälfte davon zweifelte den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel an und beinhaltete falsche Informationen. Besonders auffällig waren die Ergebnisse zum Thema Geoengineering: Nahezu alle untersuchten Videos hatten eine Verschwörungstheorie zum Inhalt: Chemtrails. "Ich habe schon geahnt, dass man irgendwo auf Chemtrails verwiesen wird, aber dass es so extrem ist, hat mich überrascht", sagte Allgaier.

Forscher in der Pflicht

18 von 20 Beiträgen zum Stichwort "Geoengineering" und 19 von 20 Beiträgen zu "Climate Modification" führten zu der Verschwörungstheorie, dass es sich bei den Kondensstreifen von Flugzeugen in Wahrheit um schädliche Chemikalien handelt, die von finsteren Mächten zur Beeinflussung des Wetters, zur Kontrolle oder gleich zur Vergiftung der Bevölkerung eingesetzt werden. Und diese Videos haben ihre Zuseher, sagte Allgaier: "Auch die enorme Zahl von Views, die sie erhalten, hat mich überrascht."

Wie es seriös geht, zeigt zum Beispiel das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Potsdam Institute

Der Soziologe und Medienwissenschafter sieht angesichts dieser Ergebnisse die Wissenschaft in der Pflicht: "Im Wissenschaftsbetrieb werden solche Videos und ihre Konsumenten oft belächelt, aber ich glaube, man darf den riesigen Einfluss nicht unterschätzen, den Plattformen wie Youtube haben." Um pseudowissenschaftlichen Inhalten und der Desinformation entgegenzuwirken, sollten Youtube und andere Kanäle als Kommunikationsplattformen ernster genommen und mit seriösen Inhalten bespielt werden. Allgaier: "Das müssen nicht alle Wissenschafter selbst machen, aber zum Beispiel in Allianzen mit Science-Youtubern, von denen viele einen richtig guten Job machen und die extrem viele Leute erreichen." (David Rennert, 26.7.2019)

Update 26.7.2019, 16 Uhr:

Nach Erscheinen des Artikels erreichte uns ein Statement von Google, dem Mutterkonzern von Youtube, indem betont wird, dass die Ergebnisse der 2018 durchgeführten Studie die heutigen Standards der Videoplattform nicht mehr widerspiegeln würden. Seit der Untersuchung seien Änderungen durchgeführt worden, die unter anderem die Suche nach nachrichtenbasierten Themen betreffen und der seriösen Information zu Verschwörungstheorien dienen sollen.

In einer Reaktion darauf sagte Studienautor Joachim Allgaier: "Ich begrüße es sehr, dass Google bzw. YouTube hier ein offenes Ohr hat und sich am Gespräch beteiligt." Er bestätigte, dass die Datenerhebung vor einigen Monaten stattgefunden hat, daher sei es möglich, dass mittlerweile weniger zweifelhafte Inhalte zu den betreffenden Suchbegriffen vorgeschlagen werden. "Aus meiner Sicht spricht das aber sehr für das Argument, dass wir mehr unabhängige Forschung zum Thema Wissenschaftskommunikation auf Youtube benötigen, um auch aus einer etwas distanzierteren Sichtweise feststellen zu können, inwiefern sich diese neuen Änderungen tatsächlich im Alltag auswirken", so Allgaier. (red, 26.7.2019)