Leben wie früher, aber verknüpft mit neuen Ideen: In Gutenstein befinden sich Büro und Produktion der kleinen autarken Häuser namens "Wohnwagon". Gründerin Theresa Steininger hat noch mehr vor.

Foto: christian fischer

Gutenstein – Die Leute von der Dorfschmiede in Gutenstein wissen sehr gut, was sie nicht sein wollen: ein Dorf im Dorf. Und auch keine "Hippie-Kommune mit freier Liebe", wie es Gründerin Theresa Steininger ausdrückt. Was in einem alten Gasthaus in dem niederösterreichischen Dorf passiert, sei ein bisschen die Idee eines "Dorfs, wie es früher war, aber verknüpft mit neuen Ideen". Und gut integriert in Gutenstein, dem Dorf drumherum.

Vor gut einem Jahr haben Steininger und ihre Mitstreiter beschlossen, auf dem Land zusammenzuziehen. Die sechs Pioniere sind der harte Kern des Unternehmens "Wohnwagon", das kleine Häuser herstellt, die möglichst ressourcenschonend und autark funktionieren. Für ihr neues Vorhaben haben sie eine Genossenschaft, die "Dorfschmiede", gegründet.

Die Idee dafür entstand schon beim Wohnwagon-Entwickeln: "Wir haben uns grundsätzlich Gedanken gemacht, wie man möglichst nachhaltig leben kann" , sagt Steininger. Das Ergebnis: die Gründung eines Dorfes. Zu diesem Zeitpunkt war das Wohnwagon-Büro in Wien, die Produktion der per Lkw verschiebbaren Häuser in Wiener Neustadt.

Anreise mit dem Bummelzug

Rund 90 Gemeinden in Niederösterreich haben die Dorfgründer dann angeschrieben, in Gutenstein habe gleich alles gepasst, erzählt Steininger. Von Wiener Neustadt fährt man dorthin mit dem Bummelzug noch eine halbe Stunde durch die pittoreske Voralpenlandschaft, bis man – Endstation – in der Gemeinde mit 1300 Einwohnern, viel Wald, einem handfesten Abwanderungsproblem und den jährlich stattfindenden Raimund-Festspielen ankommt. Ideal für ein Siedlungsexperiment.

Erster Anziehungspunkt für die Leute von der Dorfschmiede war aber die leerstehende Nagelfabrik. Sie eignete sich perfekt als Produktionshalle für die Wohnwagons – sie ist hoch genug und schallisoliert. "Nur das Einfahrtstor mussten wir vergrößern, damit die Laster zum Abholen hineinpassen", sagt die Gründerin.

Hotel, Coworking-Space, Restaurant

Noch vor 15 Jahren wurden hier – als sich die Massenproduktion nicht mehr lohnte – Spezialnägel und Sonderanfertigungen hergestellt. Heute staubt und lärmt es wieder, ein Mitarbeiter zeigt Steininger gerade seinen selbstentwickelten Prototyp eines Fensterrahmens für die Minihäuser mit 15 bis 33 Quadratmeter Fläche. Derzeit liefert eine Tischlerei aus Wiener Neustadt die Rahmen zu, aber "was wir selber machen können, wollen wir selber machen", sagt Steininger. Vier Stück der rollenden Heime könne man in der Halle gleichzeitig bauen, 22 schaffe man davon pro Jahr, bis Mitte nächsten Jahres ist die Produktion ausgebucht.

Bis zu 22 Wohnwagons werden in Gutenstein jedes Jahr gebaut.
Foto: Christian Fischer

Aber eine Fabrikshalle ist noch kein Dorf: Als Zentrum fungiert der Dorfschmiede ein leerstehendes Gasthaus, der Gutensteinerhof. Den habe man bei der ersten Besichtigung der Fabrikshalle eher zufällig im Vorbeigehen entdeckt, sagt Steininger. Heute hat Wohnwagon dort sein Büro samt Onlineshop, einen Veranstaltungssaal – und übergangsweise wohnen Mitarbeiter in den Fremdenzimmern im ersten Stock. Die meisten der 29 Mitarbeiter hätten sich aber mittlerweile in der Umgebung angesiedelt, erzählt Steininger. Sie selbst wohnt im ehemaligen Gesindehaus der Fabrik.

Später soll das Zentrum im Gasthaus dann alle Stückerln des modernen Dorfs spielen: ein kleines Hotel, ein Coworking-Space und ein Restaurant, für das man gerade Gastronomen sucht.

Geld aus dem Vermögenspool

Das ist alles nicht billig: Die dunklen Holzvertäfelungen im einstigen Gasthaus könnten zwar noch als Shabby Chic durchgehen, aber um alle Ideen der Dorfgründer zu verwirklichen, muss noch viel Geld in das Haus gesteckt werden. Vor kurzem kaufte die Genossenschaft das 1300-Quadratmeter-Gebäude, das sie davor nur gemietet hatte – um 300.000 Euro, die mittels "Vermögenspool" aufgestellt wurden: Private Investoren zahlen Geld ein, das über einen Treuhänder in die Immobilie investiert wird. 700.000 Euro veranschlagt Steininger für anstehende Umbauten. Bis Jahresende will sie einen guten Teil davon aufstellen.

Im Gasthaus "Gutensteinerhof" hat sich das Büro von Wohnwagon eingerichtet.
Foto: Christian Fischer

Schon in Planung ist ein neues Dach mit Solardachziegeln – sie schauen aus wie normale Dachziegel, erzeugen aber Strom. Und eine neue Hackschnitzelheizung: Sie soll die Ölheizung ersetzen, die im Haus eingebaut ist. Und zwar dringend: "10.000 Euro für Heizöl. Das war die schlimmste Ausgabe in der Firmengeschichte für mich", sagt Steininger. Der Gedanke daran macht sie schaudern.

Ein ausgefranster Kreislauf

Sonst ist im neuen Dorf natürlich alles ökologisch. Derzeit kochen die Wohnwagon-Mitarbeiter in der Küche füreinander, möglichst bio und regional. Sie greifen dafür mittlerweile auf die Produkte des neuesten Dorfzuwachses zurück: Vor einigen Monaten hat sich eine kleine Gärtnerei direkt neben der Wohnwagonfabrik angesiedelt. Auf dem kleinen Feld wird dort Gemüse gepflanzt – das dann unter anderem im Gutensteinerhof auf dem kollektiven Wohnwagon-Mittagstisch landet. Bald soll auch ein Biokistl angeboten werden.

Und auch zwei Tischler haben sich mittlerweile im Dorf eingefunden: Einer hat noch eine provisorische Werkstatt in der alten Nagelfabrik, ein anderer richtet sich gerade in einem Nebengebäude ein. Die beiden produzieren Möbel für die Wohnwagons, aber auch für Einzelkunden. Und: Die Handwerker haben ein altes Haus gekauft, in dem sie wohnen wollen. Die Dorfschmiede hat damit so etwas wie einen ausgefransten Kreislauf geschaffen. Damit das alte Dorf Gutenstein vom neuen profitiert. (Sebastian Fellner, 3.8.2019)