Emmanuel Macron lädt Boris Johnson ein.

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London/Paris/Berlin – Die deutsche Regierung hat Boris Johnson vor überzogenen Erwartungen bei Brexit-Gesprächen mit der EU gewarnt. "Meine Botschaft an den neuen britischen Premierminister ist sehr klar: Boris, der Wahlkampf ist vorbei. Beruhige dich mal", sagte der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, am Freitag im ZDF.

Neue Provokationen seien nicht hilfreich. Der ausgehandelte Vertrag zu den Brexit-Scheidungsdetails werde nicht neu verhandelt. Doch Johnson forderte in einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Brexit-Vertrag müsse der "Backstop" gestrichen werden. Mit dieser Notfallklausel sollen Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden.

Neuer Premier

Der konservative Brexit-Hardliner Johnson hatte am Mittwoch die Amtsgeschäfte von Theresa May übernommen, die mit dem von ihr mühsam in Brüssel ausgehandelten Ausstiegsvertrag drei Mal im Londoner Parlament gescheitert war. Johnson hat angekündigt, Großbritannien am 31. Oktober notfalls auch ohne Vertrag aus der EU zu führen. Dies gilt in der Wirtschaft als Horror-Szenario, wurde von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier unlängst aber als Drohung ohne wahren Schrecken zurückgewiesen. Nach seinem Amtsantritt hat Johnson auch schon mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesprochen. Auch Frankreich wies Forderungen nach Neuverhandlungen zurück.

"Die EU steht geschlossen", betonte Roth. Es sei naiv zu glauben, dass die Gemeinschaft sich erpressen lasse. Am Ende müssten die Briten selbst den höchsten Preis zahlen. Regierungssprecherin Ulrike Demmer teilte mit, Merkel habe in einem Telefonat mit Johnson den Brexit erörtert. "Die Kanzlerin hat den Premierminister zu einem baldigen ersten Besuch nach Berlin eingeladen."

Regelmäßiger Kontakt vereinbart

Ein Sprecher Johnsons sagte zu der Unterredung mit Merkel, die beiden Politiker hätten vereinbart, in Kontakt zu bleiben. In der Frage der Irland-Klausel sei Johnson hart geblieben: Die einzige Lösung, um beim Brexit voranzukommen, sei die Abschaffung des "Backstop", habe der Premier betont.

Der irische Premierminister Leo Varadkar sagte, er suche den direkten Kontakt zu Johnson. Nur in einem persönlichen Gespräch lasse sich ermitteln, wo Johnson wirklich "rote Linien" ziehe. "Er hat in der Vergangenheit durchaus Flexibilität demonstriert." Auch Irland habe gezeigt, dass es flexibel sein könne. Außenminister Simon Coveney hatte Johnsons Ansatz zuvor allerdings als nicht hilfreich und zielführend bezeichnet.

Der neue britische Nordirland-Minister Julian Smith wies die irische Kritik zurück. Seine Regierung befinde sich nicht auf einem Kollisionskurs mit der EU. Es müsse zwar eine Lösung für die Grenze gefunden werden. "Aber der Premierminister war gestern gegenüber seinem Kabinett sehr, sehr deutlich, dass er einen Vertrag haben will."

Auch Frankreich wies Forderungen aus London nach Neuverhandlungen über den Brexit-Vertrag zurück. Dieser sei der beste Weg, Großbritannien einen ordentlichen Austritt aus der EU zu ermöglichen, sagte Europa-Staatssekretärin Amelie de Montchalin. Ähnlich hatte sich bereits am Donnerstag EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker geäußert.

Milliardenschwere Austrittsrechnung

Der deutsche EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnte Johnson davor, im Falle eines ungeregelten Brexits die milliardenschwere Austrittsrechnung nicht zu begleichen. "Wenn es ernst würde mit diesen Aussagen, dann würde dies die Bonität des Vereinigten Königreichs gefährden", sagte Oettinger dem "Tagesspiegel". Nach Angaben des britischen Innenministeriums plant die Regierung einen Sonderhaushalt, um für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen. Allerdings bestätigten weder Johnson noch das Finanzministerium solche Pläne. Sie könnten dem Land helfen, Turbulenzen im Zuge eines Chaos-Brexits aufzufangen.

Schon jetzt bremst die Unsicherheit viele Unternehmen aus. Der Verband für die in Großbritannien produzierenden Autobauer warnte Johnson eindringlich: "Ein No-Deal-Brexit stellt eine existenzielle Bedrohung für unsere Branche dar", hieß es in einem Brief an den Premierminister. Hohe Zölle und Produktionsrückgänge drohten. (APA, Reuters, 26.7.2019)