Anstatt einer majestätischen Palmenkrone ziert nur noch ein Blumentopf den Baumstumpf.

Foto: Stefan Brändle

Etwas nackt stehe die Kapelle in der Hitze da, findet Schwester Bernadette, die sich selbst gut gegen brennende Sonne geschützt hat. Die Dominikanerin zeigt auf einen Baumstumpf: "Hier stand sie, unsere schönste Phönixpalme. Und sie war nicht nur schön, sie spendete auch viel Schatten."

Die weltberühmte Matisse-Kapelle befindet sich auf einer Terrasse mit Ausblick auf das mittelalterliche Städtchen Vence und, in der glitzernden Ferne, das Mittelmeer. Henri Matisse hatte das lichte Gotteshaus nach dem Weltkrieg geschaffen. Die Glasfenster in Blau, Gelb und Grün verkörpern Palmwedel, das Symbol des Friedens und vielleicht auch der üppigen Schönheit der französischen Riviera.

Die Palme selbst musste vor drei Jahren gefällt werden. 30 Meter hoch war die "phénix", wie man hier die kanarische Dattelpalme nennt. "Ja, es war unsere liebste, die nobelste", seufzt Schwester Bernadette. Im ganzen Gut hätten einst zehn Palmen gestanden. Jetzt blieben noch sieben, die meisten lebensbedroht. Bedroht vom Rhynchophorus ferrugineus, dem roten Rüsselkäfer. Das Weibchen legt bis zu 300 Eier an den Stämmen ab. Die Larven bohren sich sodann durch das Holz bis in die Palmenkrone. Dort fressen sie mit ihren feinen Rüsseln monatelang das weiche Herz, bis die Wedel erste Schwächesymptome zeigen.

In den letzten zehn Jahren sind an den europäischen Küsten des Mittelmeers auf diese Weise fast 500.000 Palmen verschwunden. In einzelne Strandpromenaden, etwa im benachbarten Nizza, reißt der Schädling ganze Breschen. In Le Cannet, oberhalb von Cannes, erhielt ein Autofahrer, dem ein zerfressener Wedel auf das Dach gefallen war, im Mai von einem Gericht 4512 Euro Schadenersatz zugesprochen. Urteilsbegründung: Der Stadtrat habe es unterlassen, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen.

"Impfung" für Bäume

In Vence hat die Bürgermeisterin die Palmen um die Matisse-Kapelle "impfen" lassen. Laut Patrice Miran, ihrem grünen Vize, kommt ein Verfahren des Chemiekonzerns Syngenta zum Einsatz. Es enthalte "phytosanitäre" Elemente wie Emamectin-Benzoat – ist im Klartext also ein Insektizid. "Das einzige wirksame Gegenmittel", meint Miran kategorisch. Gibt es denn keine natürlichen Mittel zur Bekämpfung des Rotrüssels? Doch, die gebe es, meint Miran, nach eigenen Worten ein Realo-Grüner. "Aber sie werden dem Käfer nicht Meister."

Einzelne Gemeinden in Spanien, Italien und auch Frankreich versuchen, der asiatischen Käferplage mit einem rundum biologischen Verfahren zu Leibe zu rücken: Sie setzen Pilze (Beauveria bassiana) und Fadenwürmer (Nematoden) ein, welche die Käfer erledigen und deren Larven vertilgen. Diese natürlichen Schädlingsgegner werden teilweise mit Drohnen auf die Palmenkronen gesprüht – außer auf der berühmten Promenade des Anglais in Nizza. Am Schauplatz des furchtbaren Terroranschlags von 2016 sind solche Überflieger verboten.

Das östlich von Vence gelegene Nizza hat seit 2015 jede siebente Palme verloren. Allein im vergangenen Jahr waren es 171. Dramatische Zahlen. "Noch schlimmer, das Bio-Vorgehen ist in Nizza völlig gescheitert", bilanziert Miran. "Ob man es will oder nicht – ohne phytosanitäre Eingriffe werden die Kanarischen Phönixpalmen an der Côte d’Azur bald ganz aussterben."

Darin liegt das Drama: Je verheerender die Folgen der Klimaerwärmung sind, desto weniger helfen biologische Gegenmaßnahmen. Die steigenden Temperaturen an den mediterranen Gestaden begünstigen die aus den Tropen kommenden Käfer. Ihre natürlichen Gegner, die Nematoden-Würmer, ertragen hingegen höchstens 25 Grad Wärme.

Teure Prophylaxe

Noch einen Punkt führt der Vizebürgermeister gegen die biologischen Methoden an: "Der Einsatz von Pilzen und Würmern kostet 700 bis 800 Euro pro Palme, ein Mehrfaches der Insektizide. Die mehrheitlich privaten Palmenbesitzer verzichten deshalb oft." Der Jahrestarif für die Palmen-Prophylaxe mit dem Insektizid beträgt hingegen 72 Euro.

Miran verweist darauf, dass bisher erst die Kanarischen Inseln die Rüsselkäferplage eingedämmt hätten – weil sie Insektizide benützten. Dasselbe Resultat zeige ein erster Versuch in einer Wüstenoase Marokkos.

Mirans Partei der Unabhängigen Ökologen (AIE) versucht nun, im EU-Parlament in Straßburg durchzusetzen, dass die Palmen-Prophylaxe europaweit für obligatorisch erklärt wird. Aus Agrarkreisen hört man in Frankreich den Einwand, der Palmenschutz sei ein Luxus; wichtiger sei der Schutz vor Schädlingen wie dem Feuerbakterium, das mehr als hundert Nutzpflanzen befalle.

Wahrzeichen der Côte d’Azur

Zahlreiche Küstenorte sind bereits dazu übergegangen, weniger anfällige, aber auch weniger majestätische Palmenexemplare zu pflanzen. Miran bedauert dies zutiefst: "Das Wahrzeichen der Côte d’Azur droht zu verschwinden. Das verändert ihr ganzes Erscheinungsbild."

Doch lohnt der Erhalt des Postkartenbildes den Insektizid-Einsatz? Er ziehe Nebenfolgen nach sich und bedinge seinerseits den Einsatz von Fungiziden, wendet Nizzas Chefbotaniker Jean-Michel Meuriot ein. Er setzt seine Hoffnungen weiter auf Bio, obwohl ihn eine Einwohnerpetition zu einem entschlosseneren Vorgehen zwingen will. Schwester Bernadette kann nur dafür beten, dass wenigstens noch ihre sieben Palmen überleben werden. (Stefan Brändle aus Vence, 28.7.2019)