Die Volksschauspiele führen in die Reste der im Abbruch begriffenen Südtiroler Siedlung in Telfs und erzählen Geschichten von Rassenwahn, Umsiedlung und völkischem Zynismus.

Foto: Bernd Schranz

Die Abrissbirnen waren bereits im Einsatz, in den Fassaden klaffen Löcher, man kann durch sie hindurch in Amts- und Bauernstuben, in Wirtshäuser, Klassenzimmer und in einen Heuboden hineinschauen. Der Slogan "Der Duce hat immer recht" malt das Leid der deutschsprachigen Südtiroler Bevölkerung unter der von den Faschisten vorangetriebenen Italianisierung an die Wand. Nebenan träumen im Wirtshaus Mitglieder des nationalsozialistischen "Völkischen Kampfrings Südtirols" von einem "Erlöser" namens Adolf Hitler. Wo radikale Kräfte wirken, bröckeln nicht nur die Gemäuer.

Dafür haben die Tiroler Volksschauspiele ein spektakuläres Sinnbild gefunden: Die letzten Reste der im Abbruch begriffenen Südtiroler Siedlung in Telfs wurden von Bühnenbildner Karl-Heinz Steck zum Rahmen adaptiert, in dem sich Regisseur Klaus Rohrmoser herrliche Inszenierungsmöglichkeiten bieten. Bereits 1989 entstand nach Felix Mitterers Drehbuch die TV-Produktion Verkaufte Heimat über die "Option in Südtirol". Man wollte den Stoff nicht bloß fürs Theater recyceln: Zumindest auf visueller Ebene ist die Südtiroler Siedlung zu einem Hauptdarsteller geworden; Mitterer hat dem Stück außerdem den Untertitel Das Gedächtnis der Häuser verpasst.

Historische Aufarbeitung

1939 schlossen Hitler und Mussolini das Abkommen über die Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol. "Völkische Flurbereinigung" hieß das im NS-Jargon. Tausende Wohnungen wurden ab 1940 in der gesamten "Ostmark" und insbesondere im "Gau" Tirol Vorarlberg eilig für die Südtiroler Optanten errichtet: Häuser im Heimatstil, vielfach von Zwangsarbeitern erbaut.

86 Prozent hatten bis Ende 1939 für das "Deutsche Reich" optiert, rund 75.000 sind in den Folgejahren tatsächlich gegangen. Die "Dableiber" und "Geher" beschimpften einander als "walsche Verräter" und "Heimatverräter", die Gräben, die die Option aufgerissen hat, verliefen quer durch Familien und wirkten jahrzehntelang nach. So weit, so bekannt. Verkaufte Heimat hat diesbezüglich nicht allzu viele neue Betrachtungsweisen zu bieten. Drei Familien stellen das prototypische Personal für unterschiedliche Schicksale, Beweg- und Hintergründe.

Solide Kargheit

Die Tschurtschenthalers landen auf einem Bauernhof in Mähren. Ansonsten dominiert recht solide Klarheit: Hier wird ein Stück Geschichte erzählt, es werden Gräben aufgezeigt, aber es wird nicht allzu viel darin herumgestochert. Dabei ließe sich gerade beim Begriff "Heimat" tief graben: Was den Nationalsozialisten als zentraler Kampfbegriff diente, entlarvt gerade auch die Geschichte der Option in Südtirol als leere Hülle und Vorwand für eine mörderische Rassenideologie.

Aus der tollen Ensembleleistung stechen mit der Bäuerin und Chronistin Paula (Lisa Hörtnagl) und Anna (Jasmin Mairhofer), die sich in einen Italiener verliebt, zwei Frauen heraus. Vielleicht auch deshalb, weil sie bei der Option – zumindest auf dem Papier – nicht viel mitzureden hatten.

Abstimmungsberechtigt waren nur Männer. (Ivona Jelcic, 26.7.2019)