Im Gastkommentar spricht sich der Jurist und Ökonom Erhard Fürst dafür aus, dass die Klimapolitik technologischen Fortschritt befördern muss. Wifo-Ökonomin Claudia Kettner wiederum widmet sich im Gastkommentar den Vorteilen der CO2-Steuer.

Ernsthafte Diskussionen über den Klimawandel begleiten uns seit den 1990er-Jahren. Marksteine stellen das 2005 in Kraft getretenen Kioto-Protokoll und das Pariser Klimaschutzabkommen von 2016 dar. Die letzten 30 Jahre waren gekennzeichnet durch leidenschaftliche Diskussionen zwischen Leugnern des Klimawandels an sich oder Leugnern eines überwiegend durch unsere moderne Zivilisation, also von Menschen (anthropogen), verursachten Klimawandels, und dem Großteil der Klimaforscher. Diese warnten immer dringlicher vor den Gefahren zunehmender Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre. Auf globaler politischer Ebene ging es darum, vor allem große Emittenten von Treibhausgasen (China, Indien, Südkorea, USA, Russland, EU) in einen verpflichtenden internationalen Rahmen zur koordinierten Reduktion dieser als Hauptverursacher der Erderwärmung betrachteten Gase (v. a. CO2) einzubinden. Das ist nur teilweise gelungen, insbesondere die USA, Kanada und Australien entziehen sich zunehmend den Verpflichtungen.

Gegenwärtig scheinen die Leugner des (insbesondere menschlich verursachten) Klimawandels zunehmend in der Defensive. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des Internationalen Klimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPPC, Anm.), der alle fünf bis sieben Jahre Sachstandsberichte zum Klimawandel auf Basis der weltweit publizierten Forschungsarbeiten veröffentlicht.

Europa muss Speerspitze der Klimapolitik sein.
Cartoon: Felix Grütsch

Minimal, aber entscheidend

Tatsächlich ist der Prozess des Klimawandels ein äußerst komplexes, multikausales Phänomen. Dabei geht es um die Höhe der Konzentration der Treibhausgase, vor allem des dominanten CO2, in der Atmosphäre. In der Luft dominieren Sauerstoff und Stickstoff (ca 99 Prozent). CO2 hat einen Anteil von etwa 0,04 Prozent, von dem wieder 96 Prozent nicht durch menschliche Aktivitäten verursacht werden, sodass der kritische, anthropogene Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre minimal, aber entscheidend für die Erderwärmung ist.

Die Konzentration von CO2 wird laufend durch Zuflüsse aus vielen Quellen (z. B. Verbrennungsmotoren oder Kuhmägen) oder Abflüssen aus vielen Quellen (z. B. durch Aufforstung oder Ersatz von Energiegewinnung aus fossilen Quellen durch erneuerbare) verändert. Auf Basis wissenschaftlicher Studien lässt sich unter zahlreichen Annahmen und Wahrscheinlichkeitsabschätzungen schließen, wie viel Erwärmung eine bestimmte Erhöhung des CO2-Gehalts der Luft bewirkt, um daraus in einem zweiten Schritt dann konkrete Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschheit abzuleiten.

Höchste Betroffenheit

Innerhalb weniger Jahre hat sich die Rolle des Klimawandels in der öffentlichen Diskussion und im Bewusstsein der Menschen massiv verändert, sie hat an Bedeutung gewonnen und steht heute bereits in einzelnen Umfragen an erster Stelle der abgefragten Betroffenheiten.

Zum einen verursachen die größere Zahl und Stärke von negativen Wetterphänomenen und die damit verbundenen Katastrophen Angst bei den Menschen, obwohl ein kausaler Zusammenhang zwischen dem langfristigen Phänomen Klimaerwärmung und kurzfristigen Wetterverläufen streng wissenschaftlich kaum nachzuweisen sein dürfte. Diese Ängste werden durch die modernen Kommunikationsmedien mit laufenden Katastrophenmeldungen aus allen Winkeln der Erde zusätzlich befördert. Andererseits haben in jüngster Zeit mehr oder weniger seriöse "Kollapsologen" den endgültigen Klimakollaps bereits für die nächsten ein bis zwei Dekaden an die Wand gemalt.

Angst und Panik

Im Zusammenhang damit ist es gelungen, die jüngere Bevölkerung innerhalb und außerhalb Europas mit dem Klimathema politisch zu aktivieren. Das zeigen die gestiegene Wahlbeteiligung und die Erfolge der Grünen bei den kürzlich erfolgten Europawahlen und die zunehmend globale Bewegung Fridays for Future. Es ist keine gewagte Prognose, dass der Nationalratswahlkampf in Österreich stark von der Klimapolitik und dem Wettbewerb um jüngere Wähler geprägt sein wird.

Nun sind Angst und Panik bekanntlich schlechte Ratgeber. Sie münden allzu oft in emotionelle Haltungen wie "Wenn es um das Überleben der Menschheit geht, darf uns kein Opfer zu groß sein". Genau das verhindert rationale Entscheidungen und wird von populistischen Politikern gerne als gefährlicher Köder eingesetzt.

Treiber Überbevölkerung

Es ist nützlich, daran zu erinnern, dass Europa etwas weniger als zehn Prozent zum jährlichen weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt, es also für die zukünftige Entwicklung des Weltklimas eine nur geringe Rolle spielt. Dieser Anteil erhöht sich etwas durch Berücksichtigung von Importen CO2-intensiver Güter. Alles in allem hat sich Europa durchaus ambitionierte Ziele gesetzt, was Treibhausgase, erneuerbare Energie, Energieeffizienz betrifft. Statt Generationskriege vom Zaun zu brechen, Politiker zu beschimpfen, für neue Verbote und Zielverschärfungen zu demonstrieren, sollten wir an der verlässlichen und effizienten Erreichung der aktuellen Ziele arbeiten.

Einer der größten Treiber der Erderwärmung ist neben dem Wirtschaftswachstum die Bevölkerungsentwicklung. Nach der als am wahrscheinlichsten angesehenen Prognose wird sich beispielsweise die Bevölkerung Afrikas bis 2050 verdoppeln. Statt "politisch korrekt" zu diesem brennenden Thema zu verschweigen, müsste eine weltweite, ethisch fundierte und Frauen wertschätzende Kampagne zur Geburtenkontrolle im Kampf gegen die Klimaerwärmung hohe Priorität haben.

Investition in technologischen Fortschritt

Wichtig wird es für die Klimapolitik bis 2050 sein, gewisse Fakten einfach zur Kenntnis zu nehmen, statt sich in Grabenkämpfen zu verheddern: Erdgas ist weniger klimaschädlich als Kohle, Dieselmotoren erzeugen weniger CO2 als Benzinmotoren, Atomenergie ist fast klimaneutral. Gleichzeitig befinden sich neue, synthetisch hergestellte Treibstoffe und Wasserstoff in einer Entwicklung, die auf mittlere Sicht rentable Produktionsverfahren erwarten lässt. In der Nukleartechnologie gibt es Hoffnung auf disruptive Technologiesprünge, ebenso bei der Stahlproduktion.

Neue Technologien sind die einzige ehrliche Antwort an Milliarden von Menschen, die für sich zu Recht steigenden materiellen Wohlstand reklamieren, aber möglichst davon abgehalten werden sollten, dem "Westen", auf ausgetretenen Pfaden zu folgen. Die Verantwortung Europas besteht nicht darin, sich zu kasteien, sich moralisch über die eigene Vergangenheit zu entrüsten und Buße zu tun, sondern großzügigst in den technologischen Fortschritt zu investieren und sich als starker europäischer Player in der globalen Politik generell und in der globalen Klimapolitik im Besonderen zu positionieren. Österreich kann den Kampf für eine zukunftsweisende Klimapolitik nur auf EU-Ebene führen und muss sich stets bewusst sein, dass es um die erfolgreiche globale Steuerung der weltweiten Klimaentwicklung geht und nicht um die Begrünung unserer Hinterhöfe und die Pflege unserer Flugscham auf Balkonien. (Erhard Fürst, 26.7.2019)