Die Überlebenden des Bootsunglücks, dem schlimmsten im Mittelmeer im laufenden Jahr, wurden an die libysche Küste zurückgebracht.

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Das Drama ereignete sich vor der libyschen Küste nahe der Hafenstadt al-Chums östlich der Hauptstadt Tripolis. Drei Schlauchboote mit insgesamt 250 bis 300 Flüchtlingen und Migranten seien am Donnerstagmorgen in Seenot geraten, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. Eines oder zwei der Boote seien nach einem Motorschaden gekentert. Insgesamt 135 Menschen konnten gerettet werden, mindestens 116 weitere werden vermisst, erklärte der Sprecher der libyschen Marine, Ajub Kassim. Am Freitagabend bestätigten Retter vom Roten Halbmond, dass seit Donnerstagabend 62 Leichen von Migranten aus dem Wasser geholt wurden.

Als Erste waren offenbar Fischerboote zu der Unglücksstelle geeilt. Die Fischer sahen rund 70 Tote im Wasser treiben, berichtete die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Anschließend sei die libysche Küstenwache gekommen und habe die Überlebenden an Bord genommen. Die wurden anschließend in drei Flüchtlingslager gebracht.

Filippo Grandi, Chef des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), sprach auf Twitter von der "größten Tragödie im Mittelmeer in diesem Jahr". Mit den Toten vom Donnerstag ist die Zahl der im Mittelmeer in diesem Jahr ertrunkenen Flüchtlinge auf knapp 700 gestiegen.

UNHCR fordert sichere Wege aus Libyen

Der Italiener Grandi forderte die europäischen Regierungen auf, die Seenotrettung wiederaufzunehmen. Außerdem verlangte er ein Ende der Internierung von Flüchtlingen und Migranten in Libyen. Sichere Wege aus dem Land seien jetzt nötig; "Sonst ist es für noch viel mehr verzweifelte Menschen zu spät", betonte Grandi.

Unbeeindruckt von der Tragödie vor Libyen und dem Appell seines Landsmanns Grandi hat Italiens Innenminister Matteo Salvini am Freitag ein Schiff der eigenen Küstenwache auf hoher See blockiert. Die Gregoretti hatte 140 Schiffbrüchige an Bord genommen, die zwölf Stunden zuvor von einem italienischen Fischerboot gerettet worden waren. Das Küstenwachenschiff wollte den Hafen von Lampedusa anlaufen, um die Geretteten an Land zu bringen. Dies wurde aber von Salvini untersagt. Stattdessen hat der Innenminister die EU-Kommission aufgefordert, für eine Verteilung der Flüchtlinge zu sorgen. Bevor nicht alle verteilt seien, werde die Gregoretti in keinem italienischen Hafen festmachen, ließ Salvini wissen.

Es ist bereits das zweite Mal, dass Salvini einem eigenen Schiff das Einlaufen in einen italienischen Hafen verwehrt. Mitte August 2018 hatte der Chef der rechtsradikalen Lega die Diciotti der Küstenwache mit mehr als 170 Geretteten an Bord tagelang außerhalb des Hafens von Catania blockiert. Und auch nach dem Anlegen bedurfte es einer Intervention von Staatspräsident Sergio Mattarella, damit die Flüchtlinge und Migranten endlich an Land gehen konnten. Der Staatsanwalt von Agrigento, Luigi Patronaggio, hatte danach gegen den Innenminister wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung ermittelt. Einen Prozess blieb Salvini nur aufgrund seiner parlamentarischen Immunität erspart.

Der abwesende Salvini

Mit der Politik der geschlossenen Häfen versucht Salvini, die EU-Partner zu mehr Solidarität in der Migrationspolitik zu zwingen. Doch wenn seine EU-Amtskollegen über die Reform des Dublin-Abkommens diskutieren, glänzt Salvini durch Abwesenheit.

So hatte er am Montag auch eine Einladung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu einem Treffen ausgeschlagen, bei dem die Vertreter Frankreichs, Deutschlands und weiterer EU-Partner eine "Koalition der Willigen" aus 14 Länder schmieden wollten, die sich an einer freiwilligen Verteilung der Bootsflüchtlinge beteiligen.

Die Überlebenden des Bootsunglücks, dem schlimmsten im Mittelmeer im laufenden Jahr, wurden an die libysche Küste zurückgebracht. (Dominik Straub aus Rom, 26.7.2019)