London – Der neue britische Premierminister Boris Johnson hat Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen vor dem angestrebten EU-Austritt seines Landes zurückgewiesen. Bei einem Besuch in Birmingham schloss er am Freitag "völlig" aus, dass es auf seine Initiative hin vor dem Brexit Neuwahlen geben werde.
"Die Briten haben 2015, 2016, 2017 gewählt", sagte Johnson mit Blick auf die beiden Parlamentswahlen (2015 und 2017) und das EU-Referendum (2016). "Sie wollen keine neue Wahlveranstaltung, sie wollen kein Referendum, sie wollen keine Parlamentswahlen." Die Menschen forderten vielmehr, dass die Politik "ihren Auftrag" zu einem Brexit am 31. Oktober erfülle.
Regierungsprogramm
Beobachter hatten in den vergangenen Tagen spekuliert, der neue Regierungschef könnte Neuwahlen planen in der Hoffnung, die von seiner Vorgängerin Theresa May 2017 verlorene Mehrheit der konservativen Tories im Parlament zurückzugewinnen. Darüber hinaus hatte Oppositionsführer Jeremy Corbyn Johnson bereits kurz nach dessen Wahl zum Tory-Chef in der vergangenen Woche zu Neuwahlen aufgerufen.
Allerdings könnte es zu Neuwahlen kommen, sollte das Parlament die neue Regierung von Johnson mit einem Misstrauensvotum zu Fall bringen, um einen harten Brexit zu verhindern. Johnson hatte angekündigt, den EU-Austritt seines Landes "ohne Wenn und Aber" bis zum 31. Oktober abwickeln zu wollen. Das Parlament ist jedoch gegen einen No-Deal-Brexit.
Johnson legt am Samstag sein innenpolitisches Regierungsprogramm vor. Er werde bei einer Rede in Manchester "seine Vision" vorstellen, um im Vereinigten Königreich "die Macht wieder auszubalancieren und für Wachstum und Produktivität" zu sorgen, hieß es in Äußerungen, die von der Downing Street im Voraus veröffentlicht wurden.
Backstop-Debatte
Zudem geht die Debatte um die Gestaltung der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland in die nächste Runde. Johnson forderte erneut einen Verzicht seitens der EU auf den sogenannten Backstop. Andernfalls werde es keinen geregelten Brexit geben, droht Johnson.
Ein ungeregelter Brexit, der abrupt Handelsbeziehungen kappen oder erschweren würde, wird jedoch wegen seiner negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft bis hin zu möglichen konjunkturellen Einbrüchen gefürchtet.
Der sogenannte Backstop sieht vor, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der bisher kaum bewachten, rund 500 Kilometer langen Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland nach der Trennung Großbritanniens von der EU vermieden werden soll. Allerdings soll Großbritannien auch nach dem Brexit in der Zoll-Union mit der EU verbleiben, bis Alternativen zu einer harten Grenze mit Personen- und Warenkontrollen gefunden werden. Dies sieht der zwischen der Vorgängerin von Johnson, Theresa May, und der EU vergangenen November vereinbarte Brexit-Vertrag vor. Allerdings hat das britische Parlament mehrmals die Zustimmung zu dem Vertrag verweigert, was zum Rücktritt von May führte.
Irland warnt Johnson
Irland hat ebenso wie die übrigen EU-Staaten gegenüber Johnson betont, eine Neuverhandlung des Brexit-Vertrages und damit auch des Backstops werde es nicht geben. Am Freitag warnte Irlands Regierungschef Leo Varadkar, im Falle eines harten Brexit werde sich wieder die Frage nach einer Vereinigung von Irland und Nordirland stellen. Wenn Großbritannien Nordirland gegen den Willen der Mehrheit der Menschen dort aus der Europäischen Union herauslöse, ihnen die EU-Bürgerschaft nehme und das Karfreitagsabkommen gefährde, würden diese Fragen aufkommen, "ob wir es wollen oder nicht".
Die vergleichsweise durchlässige Grenze zwischen Irland und Nordirland ist Teil des 1998 abgeschlossenen Karfreitagsabkommens. Ziel war ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nordirlandkonflikt. Politiker in Irland und in Großbritannien befürchten, eine harte Grenze auf der irischen Insel könnte die Gewaltbereitschaft in Nordirland wieder anfachen. (APA, 27.7.2019)