Grün, voller Wirkstoffe und auch im Medizinbereich sehr hilfreich: Die Cannabispflanze genießt zunehmend auch politische Anerkennung.

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Im Gastkommentar kritisiert der Allgemeinmediziner Kurt Blaas, dass das EU-Parlament bei seinen Forderungen deutlich hinter dem bleibt, was der Gesetzgeber in Deutschland bereits erlaubt.

Mit seiner Entschließung zum Einsatz von Cannabis in der Medizin vom 13. Februar 2019 hat das Europäische Parlament einen ersten Schritt zur besseren Verfügbarkeit einschlägiger Medikamente in den Mitgliedsstaaten getan. Das medizinische Personal in den Mitgliedsstaaten soll entsprechend geschult und insbesondere das Wissen über medizinisches Cannabis auf der Grundlage unabhängiger und umfassender Forschungsarbeiten gefördert werden.

Weiters soll es allein dem professionellen Ermessen der Ärzte überlassen werden, Patientinnen und Patienten mit entsprechenden Krankheiten offiziell zugelassene Arzneimittel auf Cannabis-Basis zu verschreiben und es Apothekern zu gestatten, diese Rezepte einzulösen. In Hinblick auf die Therapiekosten soll im Zusammenspiel von Kommission und Mitgliedsstaaten dafür gesorgt werden, dass der gleichberechtigte Zugang zu Arzneimitteln auf Cannabis-Basis gewährleistet ist und die Kosten für Arzneimittel, die bei bestimmten Krankheiten wirksam sind, wie bei anderen Arzneimitteln von den Krankenversicherungen übernommen werden.

Betreuung sicherstellen

Schließlich werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, den Patienten eine rechtlich abgesicherte und gleichwertige Auswahl unterschiedlicher Arten von Arzneimitteln auf Cannabis-Basis zu bieten und sicherzustellen, dass die Patienten während ihrer Behandlung von spezialisiertem medizinischem Personal betreut werden.

Unklar blieb in der Resolution, ob das Europäische Parlament im Spektrum von medizinischem Cannabis auch seine pflanzlichen Darreichungsformen – also Cannabisblüten – mit einschließen wollte. Denn die Empfehlung bezieht sich in erster Linie auf bereits zugelassene Fertigpräparate, welche eine klinische Prüfung schon durchlaufen haben. Somit wäre das einzige Arzneimittel, welches diesen Kriterien entspricht, das ohnehin in den meisten EU-Staaten zugelassene Medikament Sativex.

Das Wissensportal über Cannabis als Medizin, Leafly.de, erhielt auf Nachfrage, ob das Europäische Parlament Cannabisblüten nicht als Medizin anerkennen würde, folgende Antwort des zuständigen Pressereferenten: "Es liegt nicht im Kompetenzbereich des Europäischen Parlaments, Medikamente anzuerkennen oder zu definieren, was ein Medikament ist. Dies fällt zu Teilen in die Kompetenz der zuständigen Europäischen Arzneimittel-Agentur und der Mitgliedsstaaten. Daher kann das Parlament auch nicht Cannabisblüten als Medikament anerkennen oder dies ablehnen. Die Entschließung des Parlaments fordert vielmehr die Mitgliedsstaaten dazu auf, sich intensiver mit den Potenzial Cannabis-basierter Medikamente zu beschäftigen." Damit verbleibt das EU-Parlament in seinen Forderungen deutlich hinter dem, was der Gesetzgeber in Deutschland bereits erlaubt – nämlich die Verschreibung von Cannabisblüten, Dronabinol sowie medizinischen Präparate mit einem besonders hohen Anteil von THC (Tilray THC25).

Cannabis-basierte Fertigpräparate

Was neu ist und für Patienten tatsächliche Vorteile bringt, ist die Forderung, dass die Krankenkassen die Kosten für Cannabis-basierte Fertigpräparate übernehmen sollen. Ebenfalls neu ist die Forderung, die Wirksamkeit von Fertigpräparaten in Hinblick auf weitere Krankheitsbilder wie HIV/Aids, psychische Störungen wie Depressionen und die posttraumatische Belastungsstörung, das Tourettesyndrom sowie Epilepsie, Alzheimer, Arthritis, Asthma, Krebs, Morbus Crohn und Grünem Star zu erforschen und damit das therapeutische Potenzial von Cannabis-Medizin zu erweitern.

Die mangelnde Entschlussfreude des Straßburger Parlaments in Hinblick auf die Möglichkeit, kontrollierten Medizinalhanf für bestimmte medizinische Indikationen zumindest als politische Option den Mitgliedsstaaten zu empfehlen, kommentiert Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der deutschen Grünen und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses des EU-Parlaments, wie folgt: "Ganz wichtig ist uns Grünen, dass die verschiedenen Anwendungsformen von medizinischen Hanfprodukten nicht gegeneinander ausgespielt werden. (...) Ein Großteil der Abgeordneten des Europäischen Parlaments hat das heute anders gesehen – sie wollen nur medizinisches Cannabis fördern, das das Prozedere klinischer Prüfungen durchlaufen hat. Damit verschließen sie sich der Tatsache, dass Patienten Linderung durch Cannabisblüten erfahren, auch wenn dies bislang nur durch andere Verfahren belegt wurde." Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass es sehr wohl klinische Studien zur Wirksamkeit von Cannabisblüten etwa in Israel und in den Vereinigten Staaten gibt, die deren hohes therapeutisches Potenzial bei schweren Erkrankungen wie z. B. der multiplen Sklerose belegen.

Folgen für Patienten

Die mangelnde Risikobereitschaft der Politik in Hinblick auf die Verwendung von Medizinalhanf hat schwerwiegende Folgen für Patienten, da die Kosten der Fertigpräparate im Schnitt das Vier- bis Zwanzigfache von pflanzlichem Cannabis betragen. Man bekommt den Eindruck, dass in die Beratungen des Parlaments nicht nur Expertenwissen, sondern auch die Interessen jener Pharmaunternehmen eingeflossen sind, die enorme Gewinnspannen beim Verkauf von Cannabis-Fertigpräparaten erzielen.

Aus der Sicht von österreichischen Cannabis-Medizinern ist die Straßburger Entschließung also ambivalent zu beurteilen. Die Forderung nach umfassender, insbesondere unabhängiger Erforschung von medizinischem Cannabis ist ebenso zu begrüßen wie die Kostenübernahme bei bestimmten Krankheitsbildern seitens der gesetzlichen Krankenkassen. Beim Einsatz von Präparaten geht allerdings die gelebte Praxis hierzulande deutlich über die Straßburger Forderungen hinaus, denn neben Sativex und Canemes können Ärzte auch magistrales Dronabinol sowie weitere Rezepturen mit wechselnden Anteilen von THC und CBD mittels eines Suchtmittelrezepts verschreiben.

Und genau bei letzterem Umstand geht die Straßburger Entschließung viel zu wenig konsequent vor, denn im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird derzeit über eine Lockerung der Regelungen der Suchtmittelkonvention in Hinblick auf medizinisches Cannabis nachgedacht. Bislang sind Cannabis und Cannabis-ähnliche Stoffe in Tabelle I und IV der UN-Suchtmittelkonvention von 1961 aufgelistet und damit schweren Suchtgiften wie Heroin gleichgestellt. Das Expertenkomitee der WHO hat nun nach eingehender Prüfung empfohlen, Cannabisblüten und -harze aus Tabelle IV zu streichen. Damit würden die Restriktionen für medizinische und wissenschaftliche Zwecke gelockert, ohne jedoch einer missbräuchlichen Verwendung von Cannabis Vorschub zu leisten.

Beispiel Luxemburg

Eine analoge Debatte wäre auch dem Straßburger Parlament zu empfehlen gewesen. Es hätte sich zumindest unter der Rubrik Forschung den Forderungen des WHO-Expertenteams anschließen können, um so eine breite politische Diskussion für einen erweiterten Begriff von "medizinischem Cannabis" anzustoßen. Dass einzelne Mitgliedsstaaten hier bereits eine Pionierrolle einnehmen, zeigt das Beispiel Luxemburg. Dort wird seit heuer staatlich kontrolliertes Cannabis zu medizinischen Zwecken verschrieben und von kanadischen Produzenten bereits eine erste Tranche von 20 Kilogramm Cannabis geordert. Das entsprechende Gesetz wurde 2018 verabschiedet, und Anfang dieses Jahres erhielten rund 150 Ärzte die dazu notwendige Fortbildung.

Österreich ist davon weit entfernt, denn erst kürzlich hat ein vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebener Expertenbericht festgestellt, dass es auch weiterhin keine wissenschaftliche Evidenz für die Verschreibung von Cannabisblüten gäbe. Über Expertenmeinungen kann man trefflich streiten. Es sollten aber auch die vielen Patienten mit schweren Erkrankungen Gehör finden, die auf eine liberalere Gesetzgebung und damit auf eine ebenso kostengünstige wie wirksame Cannabis-Medizin warten müssen. (Kurt Blaas, 29.7.2019)