Auf der Grabenbrücke vor dem Tor hört man Hufgeklapper. Jeden Moment könnte eine Horde Ritter auf schnaubenden Pferden durch das Stadttor galoppieren, dabei mit ihren Schwertern fuchteln, dass die Kettenhemden rasseln. So reitet jedenfalls die Phantasie beim Anblick der Festung Mdina davon. In Wirklichkeit trabt hinter dem Tor nur ein einzelnes Kutschpferd Richtung Ausgang, um die letzten Tagestouristen aus dem Mittelalter zu entlassen.

Einmal jährlich wird Mdina zur Ritterfestung.
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Die ehemalige Hauptstadt Mdina ist wie eine in die Jahre gekommene Diva. Sie thront auf dem Dingli-Plateau in der Mitte Maltas, umgeben von einer dicken Mauer, angelegt in der Römerzeit. Die schmalen Gassen verströmen mittelalterliches Flair, an den Hauseingängen prunken schmiedeeiserne Wappen als Türklopfer. Diese Ausstrahlung lockt auch viele Familien mit Kindern her. Denn wenn die Stadt nicht ohnehin – wie jedes Jahr im Mai beim Festival Medieval Mdina – von Männern in Rüstungen bevölkert ist, lässt sich die Ära der Ritterlichkeit hier auch so erspüren.

Prächtige Hinterlassenschaft

Am Abend wird es im Herzen Maltas immer ganz still. So still, dass man hört, wie ein Blatt vom Olivenbaum fällt. "Ab fünf Uhr nachmittags ist es herrlich hier", schwärmt Nicole Paris. Als Inhaberin des einzigen Hotels innerhalb der Stadtmauern verbringt sie viele Abende zwischen antiken Möbeln und Ölgemälden. Von der Terrasse im oberen Stockwerk aus kann man über die halbe Insel schauen, bis hin nach Valletta, der jetzigen Hauptstadt, die einst von den Rittern des Johanniterordens erbaut wurde.

Auch ohne Medieval-Festival passt das mittelalterliche Flair auf Malta: die Skyline von Valletta.
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Viele Schätze Maltas sind den Rittern zu verdanken, die um 1530 kamen, weil sie Rhodos den osmanischen Heeren überlassen mussten. Ihre prächtigste Hinterlassenschaft ist wohl die St. John's Co-Cathedral. Der seltsame Name entstand, als Papst Pius VII. sie in den Rang einer Bischofskirche hob, den bis dahin nur die Kathedrale von Mdina besaß.

Wetteifern um Glanz

Drinnen wetteifern goldgetäfelte Wände um den schönsten Glanz. Kunstliebhaber sind hingerissen von Caravaggios Gemälde "Johannes der Täufer". Unter Marmorgrabplatten wurden Malteserritter begraben. In ihrer Blütezeit wurden die Ritter nicht nur im Kampf ausgebildet, sondern auch in Minnesang und höfischem Anstand geschult. Sie bauten Hospitäler und versorgten Kranke mit Essen auf Silbertabletts. Inzwischen erbt man den Titel nicht mehr, er wird einem angeboten. "Und das ist eine große Ehre", sagt der 9. Marquis de Piro.

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Der Marquis ist ein Ritter ohne Rüstung. "Ritter sein bedeutet, eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft zu haben." So kümmert sich der Marquis um Kranke und schreibt Bücher über die Schätze Maltas. Mit seiner Familie lebt er in der Casa Rocca Piccola, dem letzten in Privatbesitz befindlichem Palazzo in Valletta, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Im Wohnzimmer riecht es nach 15. Jahrhundert. Womöglich strömt der altehrwürdige Geruch aus der bemalten Holzkommode, dem ältesten Stück im Haus. Im Garten hockt Papagei Kiku auf einer Stange, krächzt ein "Hallo" und winkt dabei mit dem rechten Fuß. "Den haben mir meine Enkel zum 70. Geburtstag geschenkt", erzählt Nicholas de Piro. Inzwischen ist der Vogel sehr beliebt. Er hat sogar einen eigenen Twitter-Account.

Maltesische Wassertaxis

Bootsbauer Gerald hält nichts von Twitter und Co. "Don't follow me on Facebook, follow me to the bar", prangt in Großbuchstaben auf seinem T-Shirt. Gerald ist ein Barklor, Ruderer. Seit über 50 Jahren kreuzt er mit dem traditionellen maltesischen Wassertaxi, der Dgħajsa, durch den Großen Hafen Maltas. Schon zu Ritterzeiten waren die Dgħajsas hier das wichtigste Transportmittel. Bis in die 1970er-Jahre dümpelten rund 1.000 Barklori mit ihren Booten im Hafen.

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Der Große Hafen von Valletta.
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Fühlt sich Gerald nicht winzig klein, wenn er an den großen Kreuzfahrtschiffen vorbeituckert? Nein, sagt er, das sei er ja gewohnt, nur waren es früher Kriegsschiffe. Damals wurde Königin Elisabeth, als sie noch Prinzessin war, stets mit einer Dgħajsa abgeholt und zum Marinestützpunkt Fort Angelo gebracht.

Inzwischen gibt es nur noch gut zwei Dutzend Barklori. Alle paar Monate streicht Gerald das edle Boot neu, weil die Sonne sonst tiefe Risse ins Holz reißt. "Du musst dich darum kümmern wie um deine Frau", sagt er. Sammler bieten ihm inzwischen 10.000 Euro für den Dgħajsa, aber Verkaufen kommt für ihn nicht infrage. Vermutlich wieder so ein Fall von maltesischer Ritterlichkeit. (Monika Hippe, 3.8.2019)

Die Reise wurde von der Malta Tourism Authority unterstützt.