Im Grauen Haus, dem Wiener Landesgericht, wird über einen schweren Fall von Road-Rage verhandelt.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien – Mit einem Jochbeinbruch und einem verletzten Auge endete am 28. Februar ein Wien-Ausflug von Werner W. und seiner Gattin. Der 62-jährige burgenländische Pensionist wurde von einem anderen Verkehrsteilnehmer mit der Faust geschlagen, so viel steht fest. Die Frage, die Richter Thomas Kreuter zu klären hat, ist, ob dieser Verkehrsteilnehmer der Angeklagte Martin F. gewesen ist.

Der 49-jährige Wiener bekennt sich nicht schuldig. "Ich habe nichts gemacht. Ich habe mich dem anderen Fahrzeug nicht genähert", beteuert der Unbescholtene. Und erzählt, wie er den vormittäglichen Vorfall in Wien-Liesing erlebt hat. "Ich wollte rechts einbiegen, da hat mich der Burgenländer rechts auf der Busspur überholt und ist vor mir abgebogen. Ich musste stark bremsen, er hat auch für einen Fußgänger nicht gestoppt, der musste zurückspringen."

F.s Reaktion auf den Fahrfehler des anderen Autofahrers: "Ich habe gehupt und die Lichthupe betätigt. Der SUV, der hinter mir gefahren ist, auch." Dann seien alle rechts abgebogen und hinter dem ortsfremden Lenker gefahren. Allerdings, nach F.s Schilderung, nicht sehr lange. "Bei der ersten Kreuzung links hat er wieder abrupt gebremst, ich musste auch stoppen." Was sich nachteilig auf den Labradormischling auswirkte, der auf der Rückbank war – dank des Trägheitsgesetzes wurde der beim Bremsmanöver nach vorne geschleudert.

Verhedderter Hund nach Bremsung

"Er hat gewinselt und war irgendwie mit Leine und Gurt verheddert. Ich bin stehen geblieben, meine Freundin ist ausgestiegen, ich dann auch und habe den Hund aus dem Gurt befreit. Dabei war ich mit dem Oberkörper im Wagen und habe nicht gesehen, was sonst passiert ist", behauptet der Angeklagte. Den SUV, der zunächst ebenso angehalten hat, habe er danach nicht mehr bemerkt. "Ich habe den Hund versorgt und wieder auf der Rückbank verstaut und bin dann weggefahren."

Mit dem Jochbeinbruch des 62-jährigen Werner W. habe er nichts zu tun, versichert er. Er könne auch gar nicht der Täter sein. Denn: Er leide schon seit längerem an beiden Armen an einem "Tennisarm" und könne daher mit seinen oberen Extremitäten gar keinen wuchtigen Schlag versetzen. "Aber Auto fahren konnten Sie damals schon?", ist der Richter misstrauisch. "Ja, aber es ist immer unterschiedlich, ich hatte auch schon so Schmerzen, dass ich kein Kaffeehäferl mehr heben konnte."

"Was für ein Vollidiot!"

Den Staatsanwalt interessiert etwas anderes: "Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie der Burgenländer auf der Busspur überholt hat?", will er von F. wissen. "Ich habe mit gedacht: 'Was für ein Vollidiot!', aber solche Sachen kommen vor", bestreitet er, dass er besonders wütend gewesen sei. Seine Freundin, die damals mit im Wagen saß, bestätigt seine Version, will sich aber primär auf "mein Baby" – den Hund nämlich – konzentriert haben.

Der Verletzte kann sich als Zeuge überhaupt nicht erklären, warum er zum Opfer wurde. "Ich habe um eine Spur nach rechts umgespurt, dann hat jemand gehupt und die Lichthupe betätigt", erinnert sich der resolute Pensionist. Der Kontrahent habe ihn daraufhin verfolgt, also blieb er bei der nächsten Kreuzung stehen, um zu erfahren, wo das Problem sei, erzählt er.

Dann wird seine Schilderung seltsam: Demnach habe er angehalten, das Fahrerfenster etwa 25 Zentimeter heruntergelassen – und in diesen wenigen Sekunden soll F. seinen Wagen gewendet haben, ausgestiegen, zu W.s Auto gekommen sein und ihm einen Schlag verpasst haben. Das Seltsamste: W. und seine Gattin wollen den Angreifer nicht gesehen haben, können den Angeklagten also nicht identifizieren. Lediglich das Kennzeichen hat die Frau sich notiert, die nur gesehen hat, "dass ein männliches Wesen mit Hose" in das Auto eingestiegen sei.

Satellitenbilder widerlegen Zeugen

"Kann es sein, dass Sie die Rechtsabbiegespur und die Busspur verwechselt haben?", will Richter Kreuter vom Zeugen wissen. Der schließt das kategorisch aus: An der Kreuzung gebe es gar keine Busspur. Ein Blick auf Satellitenaufnahmen verrät, dass das nur die halbe Wahrheit ist: Einen eigenen Bereich der Fahrbahn, der als Bushaltestelle gekennzeichnet ist, gibt es nämlich sehr wohl. Einen Fußgänger will der Zeuge, der 5.000 Euro Schmerzensgeld fordert, auch nicht wahrgenommen haben. Darüber hinaus deckt sich W.s Aussage, wann er wo stehen geblieben ist, nicht mit seinen Angaben bei der Polizei.

Aufgrund seiner Zweifel fällt Kreuter einen nicht rechtskräftigen Freispruch. "Ich kann nicht ausschließen, dass Sie jemanden anderen mit Ihrer Fahrweise verärgert haben und sie der geschlagen hat", begründet er an den Verletzten gewandt. "Aber so, wie Sie es schildern, geht es sich zeitlich nicht aus, dass es der Angeklagte gewesen ist." (Michael Möseneder, 29.7.2019)