Bevor die SPÖ das Kanzleramt räumte, ließ sie sieben Festplatten vernichten.

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Wien – Nicht nur am Ende der Kanzlerschaft von ÖVP-Chef Sebastian Kurz wurden Festplatten geschreddert. Auch beim Regierungswechsel von der SPÖ-geführten großen Koalition unter Christian Kern Ende 2017 kam ein externer Schredder zum Einsatz, wie die "Kronen Zeitung" berichtet. Wenngleich mit ein paar kleinen Unterschieden zur ÖVP-Datenvernichtungsaktion durch den damaligen Social-Media-Beauftragten von Kurz. Der hatte nämlich im Mai, kurz nach Auffliegen der Ibiza-Affäre, unter falschem Namen die Firma Reisswolf mit der dreimaligen Vernichtung von fünf (Drucker-)Festplatten beauftragt und die anfallenden 76 Euro nicht bezahlt. Nur so kam die ganze Geschichte überhaupt auf.

Nachdem Kurz von einer "Schlamperei" seines Mitarbeiters, aber auch einem "normalen" Prozedere gesprochen hatte, das auch bei der Amtsübergabe von Kern an Kurz passiert sei, hatte Altkanzler Kern umgehend mit einer Klage gedroht. Alle Unterlagen seien damals gesetzeskonform dem Staatsarchiv übergeben worden: "Dass ein Mitarbeiter meines Kabinetts mit Festplatten zu einer Privatfirma gegangen wäre, um diese dort zu zerstören, ist selbstverständlich nicht vorgekommen."

Rechnung über 2.100 Euro

Nun berichtet die "Kronen Zeitung" unter Verweis auf eine elektronische Rechnung vom 1. Dezember 2017, die "für den Bundeskanzler" unterzeichnet ist, dass das damalige Kanzleramt unter Kern knapp 2.100 Euro für die Vernichtung von sieben getauschten beziehungsweise ausgebauten Druckerdatenträgern ausgegeben hat.

Ein Faksimile zeigt folgenden Auftrag: "Aus datenschutzrechtlichen Gründen soll vor dem Regierungswechsel bei 7 Stk. Ricoh Multifunktionsgeräten in den politischen Büros des Bundeskanzleramtes (Kabinett BK, Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien, Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung) die Festplatte getauscht und die ausgebauten Festplatten vernichtet werden."

Laut "Krone" kamen drei der Festplatten – "eine direkt aus Kerns Vorzimmer '109/2M'" – vom Ballhausplatz. Drei weitere stammen demnach aus den Beständen des damaligen Wahlkampfleiters und Kanzleramtsministers Thomas Drozda, nunmehr SPÖ-Bundesgeschäftsführer, und eine aus dem früheren Staatssekretariat von Muna Duzdar.

Kern hatte "keine Kenntnis" von Schredderaktion

Kern antwortete Dienstagvormittag zuerst via Facebook auf den Bericht: "Ich hatte bis zum heutigen Morgen keine Kenntnis, dass Festplatten des Kanzleramtes aus meiner Amtszeit zerstört worden seien; ich sehe auch im Nachhinein dafür keine Notwendigkeit." Weder von ihm noch von seinem Kabinett habe es "einen Auftrag, irgendwelche Festplatten zu zerstören", gegeben. "Das Prozedere zur Amtsübergabe wurde von den Beamten des Kanzleramts eingeleitet und durchgeführt. Es handelte sich um einen amtswegigen Vorgang, und das ist auch gut so, denn es ist die Aufgabe von unabhängigen Beamten, einen Regierungswechsel zu organisieren. Wie sie das machen, müssen und sollen sie nach den anwendbaren Rechtsvorschriften und den Grundsätzen einer sparsamen und zweckmäßigen Verwaltung entscheiden."

Im Unterschied dazu habe bei Kurz "ein persönlicher Mitarbeiter" unter falschem Namen gehandelt. "Das war kein amtswegiger Vorgang, das war kein gesetzesmäßiger Verwaltungsakt, sondern eine heimliche Zerstörung und Panikaktion. Offenbar hatte das Kabinett von Sebastian Kurz etwas zu verbergen", so Kern.

Über 40.000 Dokumente an Staatsarchiv

Er hingegen habe im Zuge der Amtsübergabe "über 40.000 Dokumente an das Staatsarchiv übergeben". Das sei ein "substanziell anderer Vorgang" gewesen als bei der Amtsübergabe von Kurz. "Meine Aufforderung an Sebastian Kurz, unzulässige Vergleiche mit mir in diesem Zusammenhang daher zu unterlassen, bleibt aufrecht."

Im Ö1-"Mittagsjournal" erklärte Kern, seinen Nachfolger klagen zu wollen, sollte Kurz "noch einmal behaupten", dass auch bei seiner Übergabe "politische Mitarbeiter Material geschreddert haben, noch dazu unter falschem Namen, noch dazu außer Haus".

ÖVP wirft SPÖ "Doppelmoral" vor

Der ÖVP kam der "Krone"-Bericht zupass. Sie übte umgehend Kritik an der SPÖ: "Es ist unglaublich, mit welcher Doppelmoral Kern und die gesamte SPÖ hier agieren", erklärte ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer. "Wie sich jetzt herausstellt, schredderte auch die SPÖ, und das sogar im größeren Stil."

"Spätestens seit heute" sei klar, dass es nicht "außergewöhnlich" sei, dass "zeitgerecht vor einem Regierungswechsel Festplatten ausgebaut und vernichtet werden", meinte Nehammer. "Dass ein Mitarbeiter von uns falsch gehandelt hat, kann man nicht wegwischen, das war nicht korrekt, und dafür hat er sich schon entschuldigt und den Schaden beglichen."

Drozda will sich nicht mit Dreck bewerfen lassen

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Drozda wiederum ließ via Twitter wissen, dass die Übergabe damals von Beamten des Kanzleramts durchgeführt und geleitet wurde. Die ÖVP hingegen habe "offenbar einiges zu verbergen, verstrickt sich in Widersprüche und will nicht über ihre zerstörten Daten, Festplatten und Fehler reden. Stattdessen versucht sie uns mit Dreck zu bewerfen."

Bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hieß es auf APA-Anfrage, dass keine Details zu den Ermittlungen bekanntgegeben werden, auch nicht darüber, gegen wie viele Personen ermittelt werde. Bei den Ermittlungen sei jedenfalls "besondere Sensibilität" geboten, zudem handle es sich um einen "Verschlussakt". Die vom Jetzt-Abgeordneten Peter Pilz angekündigte Sachverhaltsdarstellung sei noch nicht eingelangt. Sobald sie vorliege, werde sie freilich geprüft.

Aus dem Kanzleramt von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gab es vorerst keine weiteren Stellungnahmen zu der Causa. Die Erhebungen zu den parlamentarischen Anfragen mehrerer Parteien seien im Laufen, hieß es. (red, APA, 30.7.2019)