"The Sea Within": Feminismus heute oder Terrain erobern, eigene Lebenszusammenhänge in der Bewegung zum Ausdruck bringen.

Danny Willems

Beide Stücke packen dieselbe Einsicht an: Alle Informationen und Ideen, die man im Lauf der Zeit zu einer Art Wissen zusammenfügt, befinden sich in ständiger Bewegung. Weil sich die Grundlagen erneuern, besteht immer die Chance, ein Wissen zu vervollständigen, zu vertiefen und zu berichtigen. The Sea Within von Lisbeth Gruwez und The Jewish Connection Project von Lisi Estaras mit Ido Batash bei Impulstanz regen eine solche Vertiefung an. Produziert wurden diese Arbeiten in Belgien, The Sea Within ist noch bis Mittwoch im Wiener Akademietheater zu sehen.

In The Jewish Connection Project geht es um ironische Korrekturen an sich wieder verfestigenden Stereotypen von einer jüdischen Identität, wie sie von aktualitätsgebundenen Medien nur schwer zu erfassen sind. Estaras und Batash zerfasern mit ihrer bunt zusammengewürfelten Tanz- und Performancegruppe alle Festlegungen. Aber nur, um einzelne Details und Fäden neu aufzugreifen und zu einem lockeren Gewebe zusammenzufügen, mit dem sich die Pluralität des heutigen Judentums erfassen lassen könnte.

Robuster Humor

Gerade diese Lockerheit, die sich gleich zu Beginn aus dem weiblichen Wortwitz eines Rap-Songs darüber, was alles jüdisch sein kann, entspinnt und zu einer clever komponierten choreografischen Performance aufblüht, enthält bereits einen Strang dieser Identität, robusten Humor, auch wenn dieser wie auf nur dünn überkrusteter Lava einhertanzt, weil, wie wir wissen, die Hölle der Geschichte noch nicht erkaltet ist und die Bewegungen der Gegenwart erneut erhöhte Aufmerksamkeit verlangen.

Dem begegnen Estaras, Batash und ihre neun jüdischen Mitperformer mit Groteske und Selbstrionie, einer Freude an Farben und schnippischer Absurdität, um das Thema "Identität", dem heute mit allzugroßer Verbissenheit eine neue Konjunktur gegeben wird, auf eine reflektierte Ebene zu heben.

Genau auf diesem Niveau mischt die ehemalige Fabre-Performerin Lisbeth Gruwez die Auseinandersetzung darüber auf, was und wie Frauen heute sein können. Ihre zehn Tänzerinnen liefern die idealen Darstellerinnen dafür ab, weil sie nicht auf "Charaktere" und gesellschaftliche Rollen festzulegen sind, sondern sich darauf konzentrieren, was Tanz so hervorragend kann: die Komplexität innerer Strukturen sichtbar zu machen.

Keine Sekunde Pathos

Mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit ist es der Choreografin gelungen, aus dieser riskanten Thematisierung ein Stück zu komponieren, in dem keine Sekunde lang Pathos tröpfelt, in dem ganz unterschiedliche Stereotype demontiert oder umgedreht werden und in dem zu spüren ist, dass Feminismus heute heißt, sich auch von den affirmativen Festlegungen einer patriarchalen Kultur zu verabschieden. Diese drei Elemente liefern eine ästhetisch wie inhaltlich glaubwürdige Grundlage für The Sea Within.

Gruwez hat Tänzerinnen ausgesucht, die jede für sich in Gestalt und Gehaben ausgesprochen individuell erscheinen und auftreten. Bereits zu Beginn des Stücks "erobert" jede von ihnen auf ihre ganz besondere Art das Terrain der Bühne und zeigt durch ihre Bewegungen, dass sie ihre eigenen Lebenszusammenhänge mit sich bringt. Noch bevor sie zu einer dicht gedrängten Gruppe werden – die an die Frauengemeinschaft in Mónica Calles Ensaio para uma Cartografia erinnert, das vor zwei Monaten bei den Festwochen zu sehen war -, hat das Publikum etwas über die einzelnen Tänzerinnen erfahren.

Was dann folgt, ist choreografisch wie tänzerisch eine poetische Meisterleistung, die Individualität und Gemeinschaftlichkeit in allen Widersprüchlichkeiten so beeindruckend zum Ausdruck bringt, dass am Ende des Stücks der Eindruck entsteht, man hätte ein ganzes Buch darüber gelesen. (Helmut Ploebst, 30.7.2019)