Im Oktober 2018 zum Vorsitzenden des sogenannten Parteientransparenzsenats aufgestiegen: Gunther Gruber.

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Im obersten Stockwerk des Bundeskanzleramts sitzt Gunther Gruber und wundert sich. Natürlich nicht zu offensichtlich, das gebietet das Understatement des Verwaltungsjuristen. Aber er wundert sich.

Seit Oktober 2018 ist Gruber zum Vorsitzenden des sogenannten Parteientransparenzsenats aufgestiegen. Und auf den fällt seit dem Auffliegen der Ibiza-Affäre und der im Video vom damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) freimütig geschilderten illegalen Umgehung der Gesetze zur Parteienfinanzierung deutlich mehr Licht der Öffentlichkeit, als es jemals zuvor der Fall war.

Die Parteien müssen jeweils bis zum 30. September die Basics ihres wirtschaftlichen Unterbaus an den Rechnungshof melden.
Illustration: Fatih Aydogdu

Mitte Juli hatte der Rechnungshof angekündigt, ÖVP und SPÖ beim "unabhängigen Parteientransparenzsenat", wie das Dreiergremium – kurz UPTS – juristisch korrekt heißt, anzuzeigen. Die Vorwürfe: Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze sowie unzulässige oder zu spät gemeldete Spenden. Die drohende Konsequenz: Bußgeldzahlungen. Auch die FPÖ könnte die Juristen, die von Verfassungs-, Verwaltungs- und Oberstem Gerichtshof nominiert und von der Regierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats bestellt werden, noch beschäftigt halten. Der von den Blauen vorgelegte Rechenschaftsbericht wurde bisher aber wegen fehlender Unterschriften nicht vom Rechnungshof veröffentlicht.

Binsenweisheit

Das angekündigte Schreiben des obersten Kontrollorgans der Republik sei bei ihm mit zweiwöchiger Verspätung eingetrudelt, sagt Gunther Gruber. Das ist aber nicht der Grund für Herrn Grubers Verwunderung, die rührt von woanders her. Um die zu verstehen, muss man wissen, was passiert, wenn endlich einmal alles vorliegt. Wie machen sich der Verwaltungsjurist Gruber, der ehemalige Verfassungsrichter Hans Georg Ruppe, die Vizepräsidentin des Rechtsanwaltskammertags, Marcella Prunbauer-Glaser, und eine Handvoll Mitarbeiter an die Arbeit?

Die drei Senatsmitglieder haben zwei Hauptinformationsquellen zur Rechtsfindung bei der Hand: den Bericht des Rechnungshofs und die Stellungnahmen der Parteien. Das klingt bescheiden. Und das ist es auch. Parteienfinanzierungsexperte Hubert Sickinger beschreibt die Verlässlichkeit der Parteienangaben mit einer Binsenweisheit: "Eine nicht deklarierte Spende ist ja gerade der Verstoß."

Wenn eine Partei ihre Aufgabe nicht ordentlich erledige, laufe das System "ins Leere". Ähnlich zahnlos sind die Kompetenzen des Rechnungshofs. Der darf nämlich gar nicht selbst prüfen, sondern soll nur bestätigen, was die von ihm bestellten (und von der jeweiligen Partei vorgeschlagenen) Wirtschaftsprüfer (zwei pro Partei) bereits geprüft haben.

"Richtungsweisender Fall"

Weil zwischen Theorie und Praxis aber immer noch der Faktor Mensch liegt und weil der Rechnungshof der Rechnungshof ist, beschränkt er sich nicht immer auf die ihm zugewiesene Statistenrolle. Orten die Prüfer einen Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz, beginnen sie zu recherchieren. Medienberichte, Partei- und Vereinsstatuten, Websites – alles, was abseits des per Gesetz verunmöglichten Blicks in die Bilanzbücher der Parteien in Erfahrung zu bringen ist, wird dafür herangezogen.

Der ÖVP brachte das zuletzt Ärger in Zusammenhang mit exakt 46,9 Quadratmetern im niederösterreichischen Wolkersdorf ein. Ein "richtungsweisender Fall", bei dem man, was die Bewertung von Sachspenden anlangt, sagt Senatsvorsitzender Gruber, deutlich "zielorientierter" als in der Vergangenheit vorgegangen sei.

Seegrundstücke zum Spottpreis

Der Anlass, kurzgefasst: Der örtliche Seniorenbund hatte von der Stadtgemeinde einen Klubraum plus Küche unentgeltlich zur Verfügung gestellt bekommen – ein Verstoß gegen jenen Paragrafen im Parteiengesetz, der Spendenannahmen von einer öffentlichen Körperschaft für unzulässig erklärt. Die neue Volkspartei sieht das offensichtlich anders. Bereits während des Verfahrens haben die Türkisen alles unternommen, um sich von ihrer Teilorganisation zu distanzieren. Den Spruch des Parteiensenats – 4.000 Euro Geldbuße – will die ÖVP nicht akzeptieren, man brachte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dort liegt der Fall jetzt seit Dezember 2018.

Erst danach wird sich zeigen, ob der vom Senat betretene juristische Weg zum Sanktionsziel führt. Wenn ja, könnte es spannend werden. Denn auch bei der neu anhängigen Anzeige des Rechnungshofs geht es um unzulässige Sachspenden. Das könnte diesmal teuer werden. Das Land Oberösterreich hatte roter und schwarzer Parteijugend Seegrundstücke viel zu billig zur Verfügung gestellt. Jetzt geht es um einen Gegenwert von 93.000 beziehungsweise 165.000 Euro – und Geldbußen in bis zu dreifacher Höhe.

Gruber hält das Thema Sachspenden jedenfalls für "ein ziemlich weites Feld". Das soll wohl heißen: Mit der laut Parteienexperte Sickinger "extrem formalistischen Argumentation", mit der sich der Senat unter seinem ehemaligen Leiter Ludwig Adamovich in einigen Fällen "um millionenschwere Geldbußen für die Parteien herumgedrückt hat", könnte es vorbei sein.

Missglückte Feuertaufe

2013, im Geburtsjahr des Parteientransparenzsenats, hatte der Rechnungshof insgesamt 27 mutmaßliche Verstöße gegen das Parteiengesetz angezeigt. Zu Verurteilungen kam es nur in zwei Fällen: Das BZÖ sollte 15.000 Euro zahlen, weil die niederösterreichische Landespartei im Rechenschaftsbericht fehlte. Das Team Stronach hatte für den damaligen Wahlkampf um 6,5 Millionen Euro mehr als erlaubt ausgegeben – was der Milliardärspartei später eine Bußzahlung von 567.000 Euro (die bisher höchste vom Senat verhängte Wiedergutmachungssumme) einbrachte. Parteienexperte Sickinger spricht trotzdem von einer "schweren Niederlage" des damals auf fünf Jahre bestellten Gremiums.

Der Rechnungshof machte danach einige Jahre Dienst nach Vorschrift. Jetzt geht man das Thema wieder forscher an, wohl testend, ob sich die Spruchpraxis des Senats in der Zwischenzeit geändert hat. Im Eifer des Gefechts werden Gruber, Ruppe und Prunbauer-Glaser jetzt sogar mehr in die Pflicht genommen, als ihnen lieb ist. So erklärte der Rechnungshof Mitte Juli, der UPTS solle klären, ob die bereits bekannten Förderungen des Landes Tirol an den Verein Tiroler Kinderwelt letztlich für den Wahlkampf des ÖVP-Kandidaten Dominik Schrott verwendet worden seien. Offen bleibt nur: Wie soll der Senat das leisten?

Schildbürgerstreich um Stichtag

Sprung in die Gegenwart: Wird mit der Anfang Juli von SPÖ, FPÖ und Jetzt beschlossenen Novelle des Parteiengesetzes alles besser? Skepsis im Blick des Senatsvorsitzenden Gruber. Entgeisterung in der Stimme von Parteienexperte Sickinger. Denn schon bei der Ausgabe des neuen "Werkzeugs" haben die Parteien dem Senat gewissermaßen ein Ei gelegt. "Eine Woche vor dem Stichtag" sollte das Gremium seine Sachverständigen bereits zur Wahlkampfbeobachtung bestellt haben. Der Stichtag für die bevorstehende Nationalratswahl war der 9. Juli, demnach hätten die Experten bis 2. Juli bestellt werden müssen. Der Haken: Beschlossen wurde das Gesetz erst am 3. Juli. Schilda lässt grüßen.

Gruber und seine Kollegen wählten den pragmatischen Weg. Sie sichten gerade im Eilverfahren Bewerbungen und wollen möglichst schnell mit den neuen Aufgaben starten. Hubert Sickinger hält die Expertenbestellung ohnehin für "rein symbolische Politik". Der UPTS sei "ein reiner Strafsenat", die Kommission folglich "bei der falschen Institution" gelandet. Sickinger hält es für eine "Aufgabe des Rechnungshofs", die Parteien mit Ungereimtheiten, die sich zwischen deren Angaben und den Beobachtungen der Sachverständigen ergeben, zu konfrontieren.

Lücken, die keiner stopft

Gruber setzt auch hier auf Pragmatik: Letztlich würde sich aus der zeitlichen Abfolge der Berichte sowieso ergeben, dass der Rechnungshof bei seiner Prüfung der Rechenschaftsberichte künftig auf die Informationen der Sachverständigen zugreifen kann, denn: Fünf Monate nach dem Wahltag (diesmal am 29. Februar) muss deren Monitoringbericht vorliegen, die Parteien wiederum müssen jeweils bis zum 30. September die Basics ihres wirtschaftlichen Unterbaus an den Rechnungshof melden.

Dass die jetzt beschlossene Novelle eine umfassende Kontrolle der Parteifinanzen möglich mache, diesen Eindruck versucht Gruber erst gar nicht zu wecken. Ob manche Gesetzeslücke gar von den Parteien ganz bewusst so gewollt sein könnte? Sagen wir es so: Herr Gruber wundert sich. (Karin Riss, 31.7.2019)