Augsburger Radler machen Autofahrer mit Poolnudeln auf den in Deutschland geltenden Mindestabstand aufmerksam. In Österreich fehlt eine gesetzliche Regelung bis heute.

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Innsbruck – Wer mit dem Rad unterwegs ist, kennt das Problem nur zu gut. Viele Autofahrer halten beim Überholen nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand ein. Zwar wird in Fahrschulen gelehrt, eine Mindestentfernung von einem Meter plus je einen Zentimeter pro km/h zu beachten, wenn man einen Radler überholt, doch gesetzliche Vorschriften gibt es dazu nicht. In der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist lediglich von "ausreichendem" Abstand beim Überholen die Rede.

Für den Verkehrsjuristen Armin Kaltenegger vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) ein gefährliches Versäumnis des Gesetzgebers. "Man stelle sich vor, im Steuerrecht wäre nur von 'genügend Steuerabgaben', die zu entrichten sind, die Rede", verdeutlicht er die Absurdität. Daher fordert das KfV nebst zahlreichen weiteren Organisationen, etwa der Radlobby, seit Jahren einen in der StVO festgeschriebenen seitlichen Sicherheitsabstand. Das würde einerseits die Radfahrer schützen, andererseits auch Autofahrern mehr Rechtssicherheit geben.

Tödliche Gesetzeslücke muss geschlossen werden

Unter Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) blieb diese Forderung trotz eigener Kampagne der Radlobby im Jahr 2018 ungehört. Weil die aktuelle Interimsregierung keine großen Veränderungen vornimmt, werde das Kuratorium für Verkehrssicherheit nach der Nationalratswahl im Herbst diesen Wunsch erneut beim Ministerium deponieren, so Kaltenegger: "Das wird garantiert eine unserer ersten Forderungen ans neu besetzte Verkehrsressort."

Denn die Gesetzeslücke ist tödlich. Zwar sinkt alljährlich die Zahl der hinterm Steuer ums Leben gekommenen Pkw-Lenker in Österreich, doch die der Radfahrer bleibt seit langem konstant. Wurden 2017 insgesamt 7.493 (2016: 7.331) Radler im Straßenverkehr verletzt und 32 (2016: 48) getötet, so waren es im Vorjahr 8.173 Verletzte und 41 Getötete. Das deute auf gravierende Mängel hin, sagt Kaltenegger. Laut Zahlen der Polizei wurden etwa allein 2016 mehr als 700 Radfahrer durch überholende Autos zu Sturz gebracht. Dass der Gesetzgeber trotzdem nicht handelt, ist für den Experten unverständlich.

Kaltenegger führt das juristische Versäumnis auf das Alter der geltenden Straßenverkehrsordnung zurück: "Die wurde im Jahr 1960 geschrieben. Damals waren Radfahrer nicht so wichtig, alles konzentrierte sich auf Autos." Angesichts veränderter Mobilität und einer enormen Zunahme des Radverkehrs müsse man den Gesetzestext daher endlich anpassen.

Rechte der Radfahrer

Im Nachbarland Deutschland gilt ein gesetzlicher Mindestabstand von 1,5 Metern, wenn Autos Radfahrer überholen. Das wäre auch für Österreich wünschenswert, denn es würde motorisierten Verkehrsteilnehmern verdeutlichen, dass sie etwa in engen Straßen oder Gassen zurückbleiben und warten müssen, ehe sie zum Überholen ansetzen dürfen. Denn Radfahrer haben durchaus ein Recht darauf, selbst Abstand vom Fahrbahnrand zu halten und müssen sich nicht zur Seite drängen lassen.

Anders als der Sicherheitsabstand beim Überholen ist der Seitenabstand den Radfahrer gegenüber parkenden Autos gesetzlich mittlerweile klarer geregelt. So hielt das Verwaltungsgericht Wien 2015 in einem Urteil fest, dass bei einer Radlergeschwindigkeit von 30 km/h ein Seitenabstand von 1,2 bis 1,8 Meter zu parkenden Autos legitim ist, um sich vor öffnenden Autotüren zu schützen. Als Mindestabstand zu parkenden Autos erachtete das Gericht die Formel: ein Meter plus eine halbe Lenkerbreite.

Verkehrsjurist Kaltenegger nennt einen halben Meter als von Radfahrern unbedingt einzuhaltenden Mindestabstand. Der sollte nur unterschritten werden, wenn dies wegen einer Fahrbahnverengung unbedingt nötig ist. Zugleich muss dann aber auch die Geschwindigkeit auf Schritttempo reduziert werden. Auf freien Straßen, ohne parkende Autos am Rand nennt der Experte einen Meter als idealen Abstand zum Bankett. Übrigens müssen Radfahrer wie auch Pkw-Lenker gegenüber Fußgängern beim Überholen einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten.

Offizialdelikt: Wie Radler sich wehren können

Solange die StVO keinen festgeschriebenen Mindestabstand vorgibt, wird es juristisch immer ein Streitfall sein, was "ausreichend" bedeutet. Kaltenegger erklärt, dass man sich als Radfahrer aber immer an die Polizei wenden kann, wenn man das Gefühl hat, be- oder gar abgedrängt worden zu sein. Weil es ein Offizialdelikt darstellt, muss die Exekutive dem nachgehen. Auch als schierer Beobachter kann man Anzeige erstatten. Wer Zeuge wird, wie ein Autofahrer einen Radler beim Überholen in Bedrängnis bringt, kann dies melden. Ideal wäre dabei, sich das Pkw-Kennzeichen zu notieren.

Wer zur Selbsthilfe greifen will, um allzu nahe Pkws fernzuhalten, kann sich einen Abstandshalter auf das Rad basteln. Etwa in Form einer Poolnudel, die einfach auf den Gepäckträger geklemmt wird (siehe Artikelbild), oder eine ausklappbare Kelle mit Rückstrahlern. Derlei Utensilien können dabei helfen, bei Autofahrern das Bewusstsein für ausreichenden Sicherheitsabstand zu erzeugen. (Steffen Arora, 31.7.2019)