Die Hauptrolle in japanischen Animes spielen oft Schulmädchen. Häufig ist das bei pornografischen Darstellungen auch so. Sie gelten nicht als Kinderpornografie – eine Debatte, bei der noch Forschung notwendig ist.

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Kinderpornografie ist verboten. So weit sind sich international die meisten Länder einig. Die Darstellung von Minderjährigen in sexuellen Zusammenhängen gilt als Missbrauch und wird auch aktiv geahndet. Anders sieht es aber aus, wenn die Darsteller in den Videos keine echten, sondern animierte Kinder sind. Stichwort Hentais: Japanische Animes, die pornografische Inhalte zeigen.

Vergewaltigung und Inzest

Auf mehreren Hentai-Webseiten gehören Kategorien wie Vergewaltigung, Inzest und "Loli" zu den populärsten. Letzteres steht für "Lolicon", kurz für "Lolitakomplex". So werden Inhalte bezeichnet, die minderjährige Mädchen in einem sexuellen Zusammenhang darstellen. Inhalte mit jungen Burschen werden hingegen als "Shotacon" bezeichnet. Die animierten Kinder sind meist zwischen acht und 13 Jahre alt. Hentais der Kategorie "Vergewaltigung" zeigen meistens den Missbrauch von Frauen, häufig Minderjähriger, jene der Kategorie "Inzest" zeigen oft ältere Väter oder Brüder, die sich an ihren Töchtern oder Schwestern vergehen.

Ein Beispiel: Auf einer der populärsten Plattformen stellt der meistgesehene Hentai aller Zeiten ein Szenario dar, in dem es legal ist, Frauen zu vergewaltigen. An zweiter und dritter Stelle finden sich jeweils Inhalte, die den animierten sexuellen Missbrauch von als minderjährig dargestellten weiblichen Personen zeigen.

Für Personen, die mit der japanischen Animekultur nicht vertraut sind, stellt sich bald die Frage: Wieso können solche Inhalte überhaupt in einer solchen Masse existieren?

Sexualisierung

In einer Reportage schreibt die BBC von der massiven Sexualisierung von Minderjährigen in Japan – so würden beispielsweise ungefähr 5.000 Schulmädchen in Japan in sogenannten "JK Cafes" arbeiten, in denen ihnen weitaus ältere Männer Geld zahlen, um Zeit mit ihnen zu verbringen. Nach Veröffentlichung des Berichts kündigte die japanische Polizei an, dass künftig nur mehr Mädchen, die älter als 18 Jahre sind, in solchen Cafés Männer bedienen dürften. Als Schulmädchen würden sie sich trotzdem weiterhin verkleiden.

Erst seit 2015 ist der Besitz von Kinderpornos in Japan strafbar. Damit war es das letzte Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Entscheidung erfolgte nach jahrelangem internationalem Druck von Kinderrechtsorganisationen. Die Darstellung in Hentais blieb aber legal – dem US-Wirtschaftsportal "International Business Times" zufolge war das auch eine Folge starken Lobbyings der Industrie.

Schon Jahre zuvor hatte die japanische Regierung ein Verbot bei animierten Hentais angestrebt (Gesetz für "nichtexistente Jugend"). Dieses wurde aber aufgrund hohen öffentlichen Drucks und von Kritik von Manga- und Animeschaffenden nicht umgesetzt.

Uno erwägt Verbot von Kindersexualisierung in Comics

Auch die Vereinten Nationen erwägen in einer Initiative, Hentais, die Minderjährige darstellen, zu verbieten. Im Februar wurde ein entsprechender Entwurf veröffentlicht, der sich damit befasst, wie Menschenhandel, Kinderprostitution und die Verbreitung von Kinderpornografie in Zukunft eingedämmt werden könnten.

In dem Vorschlag definiert der UN-Ausschuss für Kinderrechte Kinderpornografie aber nicht nur als Fotografie oder Videos von realen Kindern, sondern auch als "Zeichnungen und Cartoons". Den Entwurf konnten die einzelnen Mitglieder nach der Veröffentlichung kommentieren – darunter im März auch das zu diesem Zeitpunkt türkis-blaue Außenministerium unter Karin Kneissl (FPÖ).

Auf Anime-Fanseiten traf der Vorschlag auf viel Gegenwind, auch in Foren, die sich normalerweise rein mit Animes, nicht aber mit den pornografischen Hentais befassen. Die Argumentation: Es handle sich um fiktionale Minderjährige und keine echten. Reale Kinder würden in keinem Schritt der Produktion zu Schaden kommen, daher sollten solche Inhalte auch nicht wie Kinderpornografie gehandhabt werden.

Außenministerium: Zeichnungen und Cartoons sind nicht echt

Dieser Meinung schloss sich auch Österreich an. In einem Kommentar zu dem Entwurf schrieb das Außenministerium: "Zeichnungen und Cartoons zeigen keine echten Inhalte, daher sehen wir nicht die Notwendigkeit, sie wie Kinderpornografie zu behandeln." Der Beitrag wurde gemeinsam mit dem Justizministerium, zu diesem Zeitpunkt geführt von Josef Moser (ÖVP), ausgearbeitet, wie auf Anfrage erklärt wird.

Ein Argument, dem heimische Kinderschutzvereine widersprechen. "Ich finde, das ist ein wenig zynisch", sagt Hedwig Wölfl vom Wiener Kinderschutzzentrum Die Möwe zum STANDARD. "Wir leben so sehr in einer virtuellen Welt, dass sie einfach eine Form der Realität ist." Das würden schon jahrzehntealte Figuren wie Donald Duck oder Asterix und Obelix zeigen. "Mit dieser Fantasiewelt ist eine Grenze überschritten, die sie zu einer Art von Verharmlosung und Bagatellisierung verwandelt." Verbotenes werde innerhalb eines virtuellen Raums zur Realität – und somit zur Normalität. "Aus Sicht des Opferschutzes fehlt eine eindeutige kritische Perspektive zu dem Gezeigten."

Kinderschützer: Hentais normalisieren Gewalt

In einer Stellungnahme des Bundesverbands der österreichischen Kinderschutzzentren heißt es, dass es sich bei den Inhalten um eine Umgehung des Verbots von Kinderpornografie handle. Es brauche mehr Auseinandersetzung mit der Thematik, um den rechtlichen Rahmen zu prüfen, schreibt Geschäftsführerin Martina Wolf. Hentais würden schädigendes Verhalten verniedlichen und Gewalt normalisieren: "Es wird eine Grenze verschoben in Richtung 'Sex mit Kindern ist normal, jederzeit anschaubar und nicht sanktioniert' und die Hemmschwelle, derartige Handlungen auch real umzusetzen, möglicherweise gesenkt." Wölfl sieht politischen Handlungsbedarf: Schon heuer hat die Taskforce Strafrecht, die von der türkis-blauen Regierung eingesetzt wurde, Verschärfungen im digitalen Raum eingeführt. Die Politik müsse sich auch mit Hentais auseinandersetzen.

Das Argument, dass Pädophile womöglich solche Inhalte konsumieren, anstatt echten Missbrauch zu suchen, ist für Wölfl verschoben. Es brauche für potenzielle Pädophile keine "Ersatzbefriedigung im Comicstil, sondern ein therapeutisches Angebot". Dann könne man lernen, damit umzugehen und zu einer sozial gesunden Sexualität zu finden. Bekannt sei aus der Sexualforschung, dass Pornografie die Sexualität nicht fördere, sondern auf bestimmte Bilder reduziere. "Die Kreativität im Ausleben wird eingeschränkt." Das Argument sei daher zu untersuchen: "Senkt der Konsum solcher Inhalte die Schranken zur echten Umsetzung, oder ist es eine Ersatzhandlung, die davor bewahrt? Das wäre die Frage, die man wissenschaftlich und strafrechtlich prüfen muss."

Sexualtherapeutin: Forschung notwendig

Eine Frage, die schwierig zu beantworten ist. Beide Ansätze existieren in der Sexualforschung, erklärt die Sexual- und Paartherapeutin Nicole Kienzl. "Man weiß derzeit leider noch nicht, welche Theorie zutrifft." Daher sei es notwendig, mehr Forschung zu betreiben. Einerseits fänden Betrachter solcher Inhalte das kindliche, lolitahafte Erscheinungsbild der Darstellerinnen reizvoll. "Zusätzlich werden sie in Körperdimensionen gezeichnet, die real gar nicht aufzufinden sind", sagt Kienzl – das sei meist großbusig, mit vollem Po und Wespentaille. Oft werde verträumt geseufzt oder die "unschuldige" Erotik der animierten Mädchen durch Schuluniformen hervorgehoben. "Das heißt, dass dass die Darstellerinnen, die nicht nur extrem jung aussehen, auf übertriebene Weise sexualisiert werden." Hier stelle sich erneut die Frage, ob das pädophile Tendenzen verstärkt oder das Gegenteil geschieht, nämlich dass Pädophile ihre abnorme "Leidenschaft" auf diese Weise ausleben könnten und so zur Ruhe kommen.

Der Pädophilie-Experte und Leiter der Abteilung für Forschung an forensischer Resozialisierung in der psychiatrischen Einrichtung Royal Ottawa Health Care Group, Michael Seto, erklärte gegenüber "Vice", dass einige seiner Patienten Kinderpornografie ansehen würden, um keinen Kontakt mit echten Personen zu riskieren. Ihre Impulse auf die virtuelle Ebene zu beziehen würde sie davon abhalten, sie in der echten Welt umzusetzen. Für andere fungiere Kinderpornografie allerdings eher als Anstiftung zu weiteren Taten.

Bundeskriminalamt: Hentais kein Thema

Den Ermittlern in der Fachabteilung gegen Kinderpornografie beim Bundeskriminalamt zufolge sind Hentais – etwa auf Festplatten mutmaßlicher Täter – kein Thema. Pressesprecher Vincenz Kriegs-Au stellt im STANDARD-Gespräch allerdings in den Raum, dass pädophil veranlagte Personen Hentais schauen könnten, da deren Konsum nicht rechtswidrig ist – daher würden sie das Ansehen "echter" Filme vermeiden, während die von der Abteilung untersuchten Personen sowieso schon Rechtsbrüche begehen.

Wichtig ist laut Kienzl jedenfalls, pädophile Menschen weder zu verachten noch zu verurteilen. "Allerdings sind sie gefordert, ihre Sexualität nicht auszuleben, indem sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen", sagt Kienzl. Es gehe darum, ihr Selbstbewusstsein so zu stärken, dass sie in der Lage seien, mit ihrem Triebschicksal leben zu können. "Aber auch ihre Kontrollfähigkeit, damit es nicht zu Übergriffen kommt." (Muzayen Al-Youssef, 25.8.2019)