"Was wir jetzt haben", sagt Georg Pazderski, "ist ein reinigendes Gewitter." Draußen aber befleckt in diesem Moment kein Wölkchen den knallblauen Himmel über Berlin, wo die Politik große Ferien macht. Ausgenommen: die AfD. Bei der dienstjüngsten Partei im Parlament gehört Aufruhr zwar zum Programm; aber so viel wie aktuell, und dazu noch im eigenen Laden, hatten die Rechtspopulisten schon länger nicht mehr zu bieten.

Für die moderateren Vertreter an der Spitze der AfD ist Björn Höcke ein rechtes Ärgernis. Doch da er bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg viele Wähler anspricht, hält man sich mit Kritik vorerst zurück.
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Kurz gefasst geht es darum, wie viel Gewicht dem "Flügel" zugestanden wird, dem Sammelbecken für die Nationalisten und die Völkischen in der Partei. Bundesvorsitzender Jörg Meuthen verortet ein Fünftel der gut 33.000 Mitglieder dort – man darf das für Tiefstapelei mit Selbst- und Fremdberuhigungsabsicht halten. Und umstritten ist auch, wie viel Macht der Flügelfrontmann sich nehmen darf, der Thüringer Partei- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke. Er persönlich findet: sehr viel. Wohl deshalb hat Höcke kürzlich gedroht, er könne "garantieren, dass der Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird". Termin ist im Herbst beim Parteitag.

"Appell der 100"

Zu denen an der Parteispitze, die diese Warnung nicht amüsiert, gehört Georg Pazderski, Landes- und Fraktionschef in Berlin und Stellvertreter der beiden Bundesvorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Mit 99 anderen veröffentlichte Pazderski deshalb vor zwei Wochen den "Appell der 100". Darin wird Höcke als unsolidarischer Egozentriker charakterisiert, mit Lust nicht nur an der Spaltung der AfD, sondern dazu an einem "exzessiv zur Schau gestellten Personenkult", den der Flügel ihm bereitwilligst gewähre. Und dann dekretieren die Unterzeichner: "Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei."

Björn Höcke, ein unsolidarischer Egozentriker?
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Doch eine abschließende Klärung der Angelegenheit trauen sich so knapp vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September weder Pazderski noch irgendwer sonst.

Vor allem in den "neuen" Bundesländern im Osten ist der Flügel stark – und Höcke ein Wählermagnet. Das war etwa beim Brandenburger Wahlkampfauftakt der AfD in ihrer Hochburg Cottbus zu sehen. Mit "Höcke! Höcke!"-Rufen wurde der Thüringer gefeiert, durchaus zum Gefallen des Landes- und Fraktionschefs Andreas Kalbitz. Denn auch er ist ein Flügelmann.

Fragt man den Berliner Pazderski, was der Flügel denn sei, antwortet er: "Eine Gruppe in der AfD, die durchaus ihre Daseinsberechtigung hat, wenn sie ihre Aufgabe wahrnimmt: die Tür nach ganz rechts außen zuzumachen." Und als fürchte er, missverstanden zu werden, schiebt er nach: "Keine Extremisten."

Was Pazderski nicht sagt, aber weiß: Exakt denen öffnet der Flügel die Tore sperrangelweit. Zu Jahresbeginn hat der Verfassungsschutz die Gruppe als rechtsextremistischen "Verdachtsfall" eingestuft und hat sie seitdem im Visier. Denn die Geheimdienstler sehen, was gemäßigteren Mitgliedern wie Pazderski einen Strich durch ihre Rechnungen machen kann: wie eng etwa Höcke und der Vordenker der völkischen Neuen Rechten, Götz Kubitschek, miteinander sind. "Einen kleinen Einfluss" Kubitscheks will selbst Pazderski nicht bestreiten – aber bloß einen "auf bestimmte Personen", nicht aber auf die AfD insgesamt.

Pazderski erkennt die Gefahr, dass der Verfassungsschutz die ganze AfD beobachtet. Wie aber soll das zu dem Bild passen, das er von seiner Partei zeichnet – nämlich "bürgerlich" und wählbar für "die konservative Mitte"?

Aus demselben Grund muss Pazderski Höcke, wenn er ihn schon nicht kleinhalten kann, zumindest kleinreden. Wer sei der denn schon, fragt er also – und antwortet selbst: nur der Chef "eines der kleinsten Landesverbände". Und überhaupt sei er bloß "hochgeschrieben worden von der deutschen Presse". Das ist kurios, denn gerade der Flügel und Höcke beklagen sich ständig über schlechte Behandlung durch die Medien.

"Vorerst mal Ruhe halten"

Höckes Fans sind, wie auch Pazderski weiß, anderswo zu suchen. Bisher gehört etwa Bundeschef Gauland zu ihnen; er hat den "Appell der 100" so wenig unterzeichnet wie Meuthen. Und auch die Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, die Höcke noch vor zwei Jahren am liebsten aus der Partei ausgeschlossen hätte, fehlt. Stattdessen steht ihr Name im Vortragsprogramm der "Sommerakademie", die Kubitschek im September auf seinem Gut in Sachsen-Anhalt organisiert.

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Die Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, hält sich mit Äußerungen zum "Flügel" zurück.
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Pazderski sagt, die AfD wisse um Kubitscheks Verbindungen zur Identitären Bewegung, daher müsse "die AfD ihr Verhältnis zu Kubitschek überdenken", habe er deshalb jüngst im Bundesvorstand gefordert.

Ohne den Flügel, auch das weiß Pazderski, kann die AfD ihr Ziel vergessen, in Sachsen und Brandenburg das Kopf-an-Kopf-Rennen mit CDU hier und SPD dort am Ende zu gewinnen. Mit weiter eskalierendem Streit aber auch. "Ruhe", sagt er, müsse einkehren. "Erst mal." Soll heißen: kein Aufruhr bis zu den Wahlen. Danach geht der Kampf weiter. (Cornelie Barthelme aus Berlin, 31.7.2019)