Birgitte Bierlein, die heute an der Spitze der Übergangsregierung sitzt, ist die erste Bundeskanzlerin in der Geschichte Österreichs. Auch sonst sind Frauen in der österreichischen Politik unterrepräsentiert – und das, obwohl bereits 1919 das Wahlrecht für Frauen und Männer eingeführt wurde. Olga Rudel-Zeynek wurde 1927 Bundesratspräsidentin und damit weltweit die allererste Frau an der Spitze einer parlamentarischen Körperschaft. Bis 1975 lag der Frauenanteil im Parlament allerdings nie höher als bei 6,7 Prozent, und in der österreichischen Bundesregierung waren Frauen Einzelerscheinungen. Erst seit 2002 liegt der Frauenanteil im Parlament über 30 Prozent, und seit 2005 ist dies auch in der Bundesregierung der Fall. Ein Drittel der Mandate ist somit in weiblicher Hand, obwohl der Frauenanteil in der Bevölkerung bei knapp über 50 Prozent liegt.

Politische Geschlechtsstereotype

Woran hapert es also bei der Gleichstellung der Frauen in der Politik? Ein in der Literatur diskutierter Grund sind Vorurteile gegenüber weiblichen Politikerinnen, sogenannte "politische Geschlechtsstereotype". Solche Vorurteile betreffen einerseits Charaktereigenschaften, wobei weibliche Politiker als einfühlsamer, männliche dafür als entscheidungsfreudiger und durchsetzungsfähiger eingeschätzt werden. Andererseits werden Frauen und Männern in der Politik allein aufgrund ihres Geschlechts gewisse Kompetenzbereiche und Charaktereigenschaften zugeschrieben, zum Beispiel werden weibliche Politiker als weniger geeignet wahrgenommen, um in der Landesverteidigung zu agieren, während Männern Sozialpolitik eher nicht zugetraut wird. Diese Vorurteile sind insofern problematisch, als dass die für die Politik relevanten Charaktereigenschaften und Kompetenzen eher Männern zugeschrieben werden. In anderen Worten: Diese Vorurteile können bewirken, dass Frauen als weniger geeignet angesehen werden, um in der Politik tätig zu sein.

Brigitte Bierlein, erste Bundeskanzlerin Österreichs.
Foto: derstandard.at/www.corn.at Heribert CORN

Frauen für Sozialpolitik, Männer für Landesverteidigung

Wir haben für unsere Forschung solche Vorurteile gegenüber Politikerinnen in Umfragen in Österreich, Finnland und der Schweiz abgefragt. Die österreichische Umfrage wurde 2018 durch die Plattform für Umfragemethoden und empirische Analysen (PUMA) durchgeführt. Die schweizerische Umfrage war Teil der Nationalen Wahlstudie (SELECTS) von 2015. Die finnische Umfrage (TNS Gallup) haben wir vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahl 2012 in Kooperation mit Anne Maria Holli und Hanna Wass von der Universität Helsinki durchgeführt. Die repräsentativen Umfragen wurden zwischen 2012 und 2018 durchgeführt und sind somit ungefähr vergleichbar, was das Niveau der Vorurteile angeht.

Unsere Ergebnisse, die das erste Mal solche Vorurteile für europäische Länder untersuchen, zeigen eindrücklich, dass sowohl Österreicher als auch Finnen und Schweizer nicht frei von Geschlechtsstereotypen sind. Ungefähr ein Drittel gibt an, dass Männer und Frauen über gewisse Charaktereigenschaften verfügen und spezifische Kompetenzgebiete haben. Frauen werden eher Eigenschaften wie mitfühlend und konsensorientiert zugeschrieben, wobei Männer eher als ambitioniert und bestimmend wahrgenommen werden.

Foto: giger/lefkofridi
Foto: giger/lefkofridi

In Österreich denkt fast die Hälfte der Befragten, dass Männer geeigneter seien als Frauen, um für die Landesverteidigung zuständig zu sein. Umgekehrt ist ungefähr ein Drittel (36,4 Prozent) der Meinung, dass Frauen in Gleichstellungsthemen kompetenter seien. Sozialpolitik wird als weibliches Kompetenzgebiet (42,38 Prozent) wahrgenommen. Die positive Nachricht ist, dass sich bei jeder Frage ein recht großer Anteil der Befragten in Österreich, konkret zwischen 38 Prozent und 71 Prozent, für die Kategorie "es macht keinen Unterschied" entscheidet, das heißt keine geschlechtsspezifischen Vorurteile hegt.

Frauen und Männer werden anders wahrgenommen

Die Befunde in Österreich decken sich mit dem, was Forscher bereits für die USA gezeigt hatten, sowie mit den Geschlechtsstereotypen, wie sie auch in den Köpfen der Finnen und Schweizer existieren. Unsere vergleichende Studie, die wir Anfang Juli 2019 bei der Europäischen Konferenz für Politik und Geschlecht in Amsterdam präsentiert haben, zeigt, dass auch in einem gleichstellungsfreundlichen Land wie Finnland solche Vorurteile nicht ganz aus den Köpfen verschwunden sind, es sind jedoch deutlich weniger Menschen, die solche Vorurteile hegen. In der Schweiz hingegen finden wir ungefähr das gleiche Niveau an Vorurteilen gegenüber Frauen und Männern in der Politik – wenn auch für gewisse Fragen etwas weniger Menschen angeben, solche zu haben. Unsere Forschung zeigt weiter, dass es insbesondere konservative Männer sind, die solche stereotypen Vorstellungen von Männern und Frauen in der Politik haben.

Noch immer existieren also geschlechtsspezifische Stereotype gegenüber Politikerinnen und Politikern und sind fest in den Köpfen der Österreicherinnen und Österreicher verankert. Während es schwierig ist, eine direkte Verbindung zur Untervertretung der Frauen in der österreichischen Politik zu machen, da wir nicht angeschaut haben, wie sich die Vorurteile auf das Wahlverhalten auswirken, lässt sich doch der Schluss ziehen, dass Frauen und Männer anders wahrgenommen werden, wenn sie Politik betreiben. Das bessere Abschneiden von Männern in für die Politik relevanten Charaktereigenschaften, etwa Kompetenzzuordnung, stellt für Frauen, die in der Politik aktiv werden wollen, eine Hürde dar. Möge die erste Kanzlerin Österreichs nicht die letzte sein. (Nathalie Giger, Zoe Lefkofridi, 6.9.2019)