In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

Ich wohne seit kurzem mit meiner Freundin zusammen. Sie hat einen zehnjährigen Sohn. Ich selbst habe keine Kinder und bemühe mich, ein möglichst cooler Papa-Ersatz für ihn zu sein. Wenn es um nichts geht, klappt das auch recht gut, wir unternehmen auch gerne etwas zusammen. Allerdings wird es schwierig, wenn ich versuche, (eh nur behutsam) Regeln aufzustellen oder manchmal etwas zu verbieten.

Eine Vorbildfunktion auszuüben, ohne Vater oder Mutter zu sein, ist nicht einfach.
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Ich finde es nämlich nicht gut, wenn er lernt, dass er bei mir alles darf. Er reagiert dann mit Sätzen wie: "Du hast mir nichts zu sagen!" und "Du bist nicht mein Papa!". Wie könnte ich mich besser verhalten?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

In einer solchen Dynamik ist es hilfreich, wenn Sie und Ihre Freundin an einem Strang ziehen. Das gilt allgemein in der Erziehung. Eltern, die eine gemeinsame Position in der Erziehung haben, machen es ihren Kindern leichter zu wissen, woran sie sind. Und genau das wollen Kinder von ihren Vorbildern: Wissen, woran sie sind, um zu lernen, wie das Leben geht. Selbst dann, wenn sie sich zeitweilig dagegen auflehnen.

Im konkreten Fall ist es für Sie offenbar schwierig, Ihre Rolle zu finden: Vorbild sein, ohne Vater zu sein. Und da ist es am besten, Sie sind sich und Ihren eigenen Werten treu und stehen dazu. Denn nicht nur der (leibliche) Papa kann vorleben, wie das Zusammenleben funktioniert. Das können Sie ganz genauso. Und wenn Sie sich selbst treu bleiben, dann brauchen Sie sich auch nicht den Druck zu machen, ein Ersatzvater für den Jungen sein zu wollen. Für ihn bleibt sein Vater sein Vater. Sollte der tragischerweise nicht mehr leben, genießt er wahrscheinlich einen Sonderstatus, an den Sie nie heranreichen werden. Genauso kann es sein, dass er, auch wenn er noch lebt, seinen Vater vermisst und deshalb vergöttert. Außer er entpuppt sich als mieser Typ oder wird von Ihrer Freundin zu einem solchen gemacht.

Also bleiben Sie bei Ihrer Rolle als Lebensgefährte Ihrer Freundin mit Ihren eigenen Vorstellungen, Werten und Bedürfnissen. So können Sie sich unbefangen der konkreten Situation zuwenden. Und die wirkt so: Der junge Mann versucht, Sie beide gegeneinander auszuspielen, da er sich in seiner Rolle als Mamas Liebling einrichten möchte. Es kann aber auch sein, dass er sich damit schwertut, dass eben sein echter Vater nicht mehr bei ihm ist. Da hilft es, ihn zu verstehen und ihm das auch klar zu vermitteln. (Hans-Otto Thomashoff, 11.8.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort von Katharina Weiner:

Wenn Sie sich und dem Sohn Ihrer Freundin etwas Gutes tun möchten, verabschieden Sie sich von dem Gedanken, ein "Ersatz-Vater" sein zu wollen. Selbst bei gegenseitiger Sympathie ist die Gefühlslage und Motivation von Kindern, sich "erziehen" zu lassen, bei Stiefeltern in der Qualität nicht mit jener der biologischen Eltern vergleichbar.

Sie sind im besten Fall ein Wegbegleiter und Vorbild. Zeigen Sie sich ihm mit Ihren Gedanken, Wertvorstellung und Ihrer Lebenshaltung so, wie Sie sich auch einem guten Freund zeigen würden. Der Sohn Ihrer Freundin wird so die Möglichkeit haben, sich zu entscheiden, ob er Sie sowohl als Person mag als auch das, was Sie mit ihm teilen möchten und Ihnen wichtig ist.

Mit Respekt ihm und seiner Situation gegenüber – schließlich hat er Sie sich in seinem Leben nicht ausgesucht – besteht die Möglichkeit, je nachdem wie lange Sie bereits zusammenleben, dass sich über die Jahre eine vertrauensvolle Beziehung zueinander entwickeln kann. (Katharina Weiner, 11.8.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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