Es war ein Bild, das Deutschland in Aufregung versetzte: Als Mitte Juli Annegret Kramp-Karrenbauer ihr neues Amt als Verteidigungsministerin angetreten hat, entstand ein Foto für die Titelseiten: die CDU-Bundesvorsitzende im Berliner Schloss Bellevue mit ihrer Vorgängerin, der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, daneben Kanzlerin Merkel. Drei Frauen in politischen Spitzenämtern, sichtlich entspannt, lächelnd. Macht sei endlich auch ganz selbstverständlich weiblich, jubelten KommentatorInnen – und es ist die CDU, die Deutschland dieses Stück Normalität beschert hat.

Konservative Karriereleiter

"Wir machen die Hälfte der Bevölkerung aus, wir möchten unseren fairen Anteil", so kämpferisch formulierte es Ursula von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede im Europaparlament, als sie ankündigte, für Geschlechterparität bei den EU-KommissarInnen zu sorgen. Eine Forderung mit feministischem Beigeschmack – für konservative Führungskräfte längst kein Problem mehr. Als beim W20-Frauengipfel 2017 in Berlin die Moderatorin einer Podiumsdiskussion die Frage in den Raum warf, welche der prominenten Teilnehmerinnen sich selbst als Feministin verstehe, schnellten die Hände von Christine Lagarde – damals noch geschäftsführende Direktorin des IWF – und Ivanka Trump in die Höhe, Angela Merkel konnte sich unter tosendem Applaus zumindest nicht dagegen wehren, vom Publikum als solche bezeichnet zu werden.

Die Treppen zur Spitze. Ob die, die sie putzen, vom Aufstieg einiger weniger Frauen etwas haben, bezweifeln linke Feministinnen.
Foto: Heribert Corn

"Der Begriff Feminismus ist salonfähig geworden", sagt Hannah Schultes, Sozialwissenschafterin und Redakteurin beim linken Magazin "Analyse & Kritik". "Sich als Feministin zu bezeichnen war noch vor gar nicht so langer Zeit ein radikales politisches Statement, das hat sich auf jeden Fall verändert." Diese Veränderung stößt vor allem linken Denkerinnen sauer auf. Am Feminismus der Spitzenfrauen, dessen Vertreterinnen sich für 50 Prozent Frauen in Aufsichtsräten und Chefetagen starkmachen, arbeiten sich drei politische Philosophinnen in einem Manifest ab, das soeben in deutscher Sprache erschienen ist. Nancy Fraser, Cinzia Arruzza und Tithi Bhattacharya plädieren für einen "Feminismus für die 99 Prozent", der sich als international versteht, als ökologisch, antirassistisch – und vor allem eines: antikapitalistisch. Ihr Feindbild ist ein liberaler Feminismus, wie ihn die US-amerikanischen Professorinnen bei prominenten Frauen wie Hillary Clinton oder Facebook-Managerin Sheryl Sandberg, die mit ihrer Plattform "Lean In" Frauen dabei unterstützt, "ihre Ziele zu erreichen und eine gleichberechtigte Welt zu schaffen", identifizieren.

"Lean In", das bedeute schlussendlich, einigen wenigen privilegierten Frauen eine Gleichstellung mit Männern derselben Klasse zu ermöglichen. An den herrschenden Verhältnissen werde dabei keineswegs gerüttelt, diese würden lediglich mit einem Schuss Diversität versehen.

Globale Sorgeketten

Die Hälfte der Macht den Frauen: Bleibt diese Losung trotz neoliberaler Vereinnahmung nicht dennoch legitime Vision einer geschlechteregalitären Gesellschaft? Geteilte Macht forderte auch das österreichische Frauenvolksbegehren 2.0, es war jene Forderung, auf die sich viele UnterstützerInnen einigen konnten – während etwa der Ruf nach einer 30-Stunden-Woche für hitzige Debatten sorgte. "Natürlich braucht es Frauen in Machtpositionen. Die erste österreichische Bundeskanzlerin ist im Sinne der Sichtbarkeit ein wichtiges Zeichen, aber ich würde das nicht als feministischen Erfolg verbuchen", sagt Schifteh Hashemi, eine der Sprecherinnen des Frauenvolksbegehrens, im STANDARD-Gespräch. Brigitte Bierlein und Ursula von der Leyen: zwei weiße, privilegierte Frauen, die nun ihren männlichen Konterparts gleichgestellt seien. "Das heißt eben nicht, dass wir damit feministische Ansprüche für alle Frauen erfüllt haben", so Hashemi.

Fraser, Arruzza und Bhattacharya spitzen es in ihrem Manifest radikal zu: Rein gar nichts sei feministisch an "Frauen aus der herrschenden Klasse", die Austeritätspolitik und kriegerische Interventionen im Namen der Frauenbefreiung forcieren. Wenn das "eine Prozent" die gläserne Decke durchstoßen hat, stelle sich die Frage, wer die Scherben aufsammelt. In der Regel sind es Frauen mit Migrationsgeschichte, Pflegerinnen und Hausarbeiterinnen, die in globalen "care chains" gegen geringe Bezahlung und oft unter prekären Bedingungen jene Reproduktionsarbeit leisten, die Frauen im globalen Norden auslagern und die in ökonomischen Analysen allzu oft ausgeblendet bleibt. Wo liberaler Feminismus sich in den Vordergrund drängt, blieben diese Fragen für die 99 Prozent unsichtbar, behaupten die Philosophinnen.

Kollektive gegen Feminismus der Spitzenfrauen

"Die #MeToo-Debatte hat ganz gut gezeigt, dass nur bestimmte Frauen Sichtbarkeit bekommen. Letztendlich lag der Fokus auf Hollywood-Schauspielerinnen, nicht auf unterbezahlten Frauen in der Gastronomie, die bei der Arbeit praktisch täglich sexuelle Belästigung erleben", sagt Kirstin Mertlitsch, Senior Scientist und Leiterin des Universitätszentrums für Frauen- und Geschlechterstudien an der Universität Klagenfurt. Statt auf Karriere und Vereinbarkeitsfragen, auf Individualismus und Selbstverantwortung zu setzen, stelle ein linker, queerer Feminismus die Systemfrage und erkläre sich auch anderen Bewegungen wie der Klimaschutzbewegung oder MigrantInnen-Streiks gegenüber solidarisch, ist Mertlitsch überzeugt.

Genau jener Feminismus ist es, der die rund um den Globus erstarkende Frauenstreik-Bewegung antreibt. Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit verknüpfen die streikenden Aktivistinnen mit zentralen Fragen wie häuslicher Gewalt, rassistischer Ausgrenzung und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper – ob in Polen, Argentinien, Chile, Spanien – und zuletzt auch in Deutschland und der Schweiz. Was dabei auffällt: Im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Bewegungen fehlen prominente Gesichter an der Spitze der Streiks, die Frauenstreik-Bewegung setzt auf das Kollektiv. Fraser, Arruzza und Bhattacharya sehen darin nicht weniger als eine "globale feministische Bewegung, die ausreichend Kraft entfalten könnte, um die politische Landschaft nachhaltig zu verändern" – und die sich auf ihre sozialistischen Wurzeln rückbesinne.

Auch Hannah Schultes, die am 8. März selbst am deutschen Journalistinnen-Streik beteiligt war, erlebt die Frauenstreik-Bewegung als enorm ermutigend. "Ich denke nicht, dass wir unter Feministinnen hier in den vergangenen zwanzig Jahren eine solche Mobilisierung erlebt haben", sagt sie. Wohin sich die Bewegung im deutschsprachigen Raum entwickeln soll, werde nun kontrovers diskutiert. "Die Frage ist auch, ob man versucht, sich auf konkrete politische Forderungen zu einigen", so Schultes. Sich von neoliberalen Ideen und einem elitären Feminismus abzugrenzen, reiche nicht aus, um zu einem linken Gegenentwurf zu finden, ist die Aktivistin überzeugt.

Bewegung im Entstehen

Obwohl Fraser, Arruzza und Bhattacharya ein Manifest mit elf Thesen verfasst haben, fällt auch ihr Feminismus für die 99 Prozent wenig konkret aus – es geht um Grundsätzliches. Die Alternative könne nur aus den Kämpfen um ihre Verwirklichung hervorgehen, schreiben die Autorinnen knapp. Ein gemeinsamer Weg für liberale und für linke Feministinnen – zumindest ein solcher bleibt für die Denkerinnen ausgeschlossen.

"Der liberale Feminismus ist mit 'Breaking the glass ceiling' und 'Lean In' zunächst sehr progressiv erschienen, aber er ist nicht dazu geeignet, Themen wie unbezahlte oder unterbezahlte Care-Arbeit zu lösen", sagt Frauenvolksbegehren-Aktivistin Schifteh Hashemi. Für den Schweizer Frauenstreik bleibt Care-Arbeit indes zentrales Thema. Nach dem Streik am 14. Juni hisste das Zürcher Kollektiv ein Banner. "Das war erst der Anfang", war darauf zu lesen. (Brigitte Theißl, 11.8.2019)